Wie Frauen Karriere machen
Geschäftsfrauen machen aus der Not eine Tugend und werden dank ihren andersartigen Arbeitsformen wegweisend.
Gut, wenn man an sich selbst glaubt. Das ist bereits die halbe Karriere. Die 35jährige Basler Unternehmerin Barbara Staehelin hat dies schon früh gelernt. Aufgewachsen ist sie in den USA, einem Land, wo sich die Menschen nicht so klein machen müssen, wie in der Schweiz: «Die amerikanischen Schulen vermitteln den Kindern ein gutes Selbstvertrauen», erinnert sie sich, «das ist prägend und wahnsinnig nützlich.» Als denn Barbara Staehelin vor einem Jahr ihr eigenes Unternehmen gründete, tat sie dies im unerschütterlichen Selbstbewusstsein, dass es klappen würde, «ich habe immer daran geglaubt.» Mit ihrer Geschäftspartnerin Catharina Maulbecker etablierte sie den Gesundheits-Service McWellness, ein weltweit einzigartiges Angebot, dass den beiden dieses Jahr prompt den Swiss Economic Award für die beste Jungunternehmeridee eintrug.
Staehelin ist der Prototyp der modernen Karrierefrau: Selbstsicher, eigenwillig, gut qualifiziert – und glückliche Mutter. Nach ihrem naturwissenschaftliche Studium an der ETH in Zürich und dem Masters of Business Administration arbeitete sie sechs Jahre als Unternehmensberaterin bei McKinsey & Co. in Zürich. Ein Jahr war sie für die Beratungsfirma in New York; ihr Mann ging mit. «Wir witzelten, dass er dort ja dann einen Töpferkurs machen könne…» Er ist mittlerweile Anwalt; die beiden haben eine dreijährige Tochter, das zweite Kind ist unterwegs. Ohne Kindermädchen, Krabbelgruppe und Putzfrau ginge es nicht. «Ich bin sehr priviligiert, weil ich mir diese Unterstüzung leisten kann», sagt Staehlin, die sich in ihrer Lebensituation als «wahnsinnig zufrieden» bezeichnet.
Staehlin ist eine Vorbotin. Denn je länger je mehr kommt jene Generation von Frauen zum Zug, die frei von starren Rollenbildern aufgewachsen und gut gebildet ist, und die ihre Lust auf Selbstverwirklichung durchzusetzen weiss, sei es im Beruf oder in der Familie. Im Anmarsch sind junge Geschäftsfrauen, welche die Wut, Selbstzweifel und Opfergefühle ihrer feministischen Vorkämpferinnen hinter sich gelassen haben. Nicht mehr fordern wollen sie – vielmehr nehmen sie einfach, was ihnen ihrer Meinung nach zugesteht. Und klettern so unaufhaltsam die Karriereleitern hoch. Langsam zwar, aber zäh.
Vorbei die Zeiten, wo es jungen Frauen an erfolgreichen, weiblichen Vorbildern fehlte, wo frau ein Mannsweib werden musste, um aufzusteigen und Managerinnen mit Kindern als Rabenmütter verschrieen waren: Wenn eine 39-jährige (Antoinette Hunziker) die ganze Schweizer Börse und ihre Familie unter einen Hut bringen kann, eine 35-jährige Senkrechtstarterin (Ruth Metzler) Justiz- und Polizeiministerin wird, und eine 47jährige Chefin einer Motorenöl-Firma (Helen Bucher, Bucher AG Motorex) den diesjährigen Prix Veuve Clicquot gewinnt, dann sind die Signale eindeutig: Frauen dringen immer weiter vor – auch in die Männerdomänen.
So verzeichnete die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung SAKE 1998 im Vergleich zum Vorjahr für Frauen eine «deutliche Zunahme bei den «good jobs'»: Die hiesigen Businessladies konnten als Führungskräfte im letzten Jahr um 28 Prozent zulegen, Männer um 18 Prozent. Bei den akademischen oder gleichrangigen Berufen hat der Frauenanteil um 9 Prozent zugenommen, jener der Männer um 5 Prozent. Tendenz steigend. Und das weltweit: Das Internationale Arbeitsbüro ILO in Genf schreibt in seinem Welt-Beschäftigungsbericht 98, dass Frauen zu den «grossen Aufsteigern» im Arbeitsmarkt gehören. Die Organisation für wirtschaftliche Zusamenarbeit und Entwicklung OECD bezeichnet sie als eine «wertvolle Wachsstumsstütze» und ist überzeugt, dass sich heute «niemand mehr erlauben kann, derart wertvolle Ressourcen nicht zu nutzen». «Es wird den Frauen zwar nicht der rote Teppich ausgelegt, aber wer will, kommt hoch», sagt Unternehmensberaterin und SP-Politikerin Anita Fetz. Derzeit kämen viele Juristinnen und Oekonominnen auf den Markt, deren Chancen «ausserordentlich gut» seien. Ebenso sieht Fetz gute Aufstiegsmöglichkeiten für Fachfrauen mit Lehrabschluss und Zusatzqualifikation.
Nun mag man beklagen, dass dennoch kaum eine Frau in die alleroberste Spitze gelangt. Noch immer sind über 97 Prozent der internationalen Topmanager Männer. In Europa sind nur 3 Prozent des oberen Managements weiblich, und in der Schweiz liegt gemäss Handelsgeister der Anteil der unterschriftsberechtigen Frauen bei 5 Prozent. «Diese Bastionen werden wohl noch eine Weile in Männerhand bleiben», meint Karin Frick, Trendforscherin des Gottlieb Duttweiler Institutes GDI. Denn je höher die Hirachiestufen je härter die Macht- und Konkurrenzkämpfe. «Früher waren Frauen in Kaderpositionen wegen des Frauenbonus fast unantastbar. Heute aber nimmt man sie ernster – und deshalb nimmt man sie auch als Konkurrenz ernst», so Frick. «Ganz oben weht ein eisiger Wind», bestätigt Unternehmensberater Klaus J. Stöhlker, «wer da rein will, muss einiges aushalten, da gibt es keine Solidarität, auch nicht unter Frauen.»
Hier stellt sich die Gretchenfrage: Wollen die Frauen nicht in diese oberste Gefahrenzone, weil ihnen das Machtgerangel an der Spitze schlicht zu blöd ist? Oder schaffen sie es nicht? Viele wollen nicht, weil sie andere Prioritäten setzen: «Frauen stecken ihre Energie lieber in berufliche Inhalte als in Positionskämpfe», beobachtet Iréne Meier, Mitinhaberin der Zürcher Forschungsbüros meier&blattmann, «sie setzen auf immaterielle Aspekte wie Selbständigkeit und Gestaltungsfreiheit. «Frauen haben ein anderes Karriereverständnis», bestätigt auch Karin Frick vom GDI. Sie setzen Erfolg nicht in erster Linie mit Macht und hohem Einkommen gleich, wichtiger ist ihnen, im Beruf eine sinnvolle und befriedigende Aufgabe zu finden. «Ich will prägen, mitgestalten, Ideen realisieren und meinen Stempel aufsetzen», sagt etwa die 39jährige, designierte Publisuisse-Direktorin Ingrid Deltenre, die als Verlagsleiterin der Wirtschaftszeitung CASH und als Direktionsmitglied der Swisscard Zürich bereits steile Karriere gemacht hat, «Macht à priori finde ich nicht sexy». Ein klares Bekenntnis also gegen jene Grabenkämpfe und Reibungsverluste, für die Kaderleute nach Schätzungen des Unternehmensberaters und HSG-Professors Fredmund Malik bis zu einem Drittel ihrer Zeit verwenden. So weiss Jungunternehmerin Staehlin aus Erfahrung, «besser man gründet eine eigene Firma – da ist man auch gleich selbst an der Spitze…»
Die Folge? Bereits ein Viertel aller Klein- und Mittelunternehmen in der Schweiz wird heute von Frauen bestritten. Tendenz steigend, «das ist DER Trend», so Antia Fetz, die in Basel an einem Impulsprogramm für Unternehmensgründungen beteiligt ist: «Innert eineinhalb Jahren haben sich allein in der Region Basel 100 Frauen selbständig gemacht und 160 neue Arbeitsplätze geschaffen». Ein Phänomen, das weltweit zu beobachten ist: In den USA ist ein regelrechter Boom von Existenzgründungen im Gange, dort sind inzwischen doppelt so viele Frauen wie Männer Firmengründer. Selbst im patriarchalen Japan beobachtet die OECD zunehmende unternehmerische Aktivitäten von Frauen, ähnliche Tendenz in Korea, Mexiko und auch ausserhalb der OECD-Gruppe. Gemäss dem Internationalen Arbeitsbüro ILO war das Wachstum des weiblichen Unternehmerums in den letzten 25 Jahren «dramatisch».
Freilich: Es ist nicht allein die pure Lust an der Selbstverwirklichung, die Frauen in die Selbständigkeit treibt. Arbeitslosigkeit und Unsicherheit über das berufliche Fortkommen sind ebenso Gründe, die frau dazu zwingen können. Absolut entscheidend ist indes das grösste Handicap der Frauen: Die schiere Unvereinbarkeit von Kind und Karriere.
Nichts hindert Mütter mehr an gradlinigen Karrieren als das jämmerliche ausserfamiliäre Kinderbetreuungssystem der Schweiz, das im Vergleich zu europäischen Ländern komplett abfällt. «Das ist unser grösste Standortnachteil», so Antia Fetz: «wir haben keine Tagesschulen, keine Mutterschaftsversicherung und keine ausreichenden Kinderbetreuungseinrichtungen». Als geradezu «prekär» bezeichnet die Schweizer Frauenzeitschrift «annabelle» die Situation, und verlangt derzeit mit einer Unterschriftenaktion von den Kantonen endlich Lösungen, denn in der Deutschschweiz kommt auf fünfzig Kinder bloss ein Betreuungsplatz. «Es braucht entschieden ein anders Schulsystem», fordert denn auch die SP-Politikerin Jacqueline Fehr, «das derzeit herrschende System hat bloss noch den Zweck, Frauen vom Arbeitsmarkt wegzuhalten.»
Kein Wunder ist der Wunsch von Arbeitnehmerinnen nach betrieblichen Massnahmen gross: Immer lauter fordern sie von ihren Unternehmen Teilzeitstellen, Job-Sharings (auch auf Kaderebene) und firmeneigene Kinderbetreuungseinrichtungen. Schliesslich tragen in der Schweiz noch immer neun von zehn Schweizerinnen mit Kindern unter 15 die Hauptverantwortung für Haushalt und Kinder. Doch Wunsch und Realität, das belegt eine representative Umfrage der «annabelle», klaffen weit auseinander. So kann es sich bis anhin nur eine kleine Elite von Topverdienerinnen mit fortschrittlichen Ehepartnern leisten, den Nachwuchs voll einer Kleinkindbetreuerin anzuvertrauen und dank dieser Entlastung die oberen Karrierefelder zu erreichen – die restlichen Mütter, müssen der Kinderbetreuung zuliebe bei der Karriere Abstriche machen. Damit erledigt sich Gretchenfrage, ob sie nicht nach ganz oben wollen oder ob sie nicht können.
Sofern Frauen nicht auf Kinder verzichten, bleibt vielen nur noch die Selbstinitiative: Das Gründen eigener Kinderkrippen, neuer Wohnformen und eigener Unternehmen, die es einer Mutter und Berufsfrau erlauben, flexibel zu arbeiten. So erstaunt nicht, dass die Mehrheit der selbständigen Unternehmerinnen (58.8 Prozent) teilzeit arbeitet, denn etwa die Hälfte von ihnen hat Kinder unter 15 Jahren.
Erfreulich daran: die erschwerten Rahmenbedingungen haben den Frauen einen Wettbewerbsvorteil mitgebracht. Sie sind auf die künftigen Entwicklungen besser vorbereitet, nämlich auf die Gegenbewegung der Globalisierung und der grossen Fusionen: das Arbeiten in kleinen, selbständigen Einheiten innerhalb von Netzwerken, gilt als Trend für das nächste Jahrtausend. Die Zukunft gehöre denjenigen, so die HSG-Dozentin Tina Kiefer, «die es verstehen, ein Portfolio von interdisziplinären Tätigkeiten aufzubauen und somit mehre Jobs und verschiedene Berufe nacheinander und auch gleizeitig zu organisieren.» Wer also, wie die meisten Frauen, zwischen unsicheren Zick-Zack-Karrieren und dem Chaos-Unternehmen «Familie» arbeiten gelernt hat, der ist bestens vorbereitet für die künftigen Anforderungen. Trendforscherin Karin Frick gibt sich deshalb optimistisch: «Dank ihrer Fähigkeit sich zwischen verschiedenen Aufgabenbereichen flexibel zu bewegen, könnten Frauen in diesen neuen Arbeitsformen zu Pionierinnen werden.»
Weitere Informationen finden Sie unter www.frauen.ch. Diese Website führt eine hervorragende Adress- und Linkliste für Frauen, mit Hinweisen zu Frauenclubs, -organisationen, -buchläden und bibliotheken und Berufsvereinigungen.
Interessante Statistiken und Tipps für Frauen, die sich selbständig machen wollen, finden Sie unter www.frauenunternehmen.ch.
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