Leseproben und Projektbeschriebe

Von Rätsel zu Rätsel durch die Altstadt

Spielerisch Neuenburg kennenlernen: Eine Schnitzeljagd führt Besucher durchs historische Zentrum in die Belle Epoque der vorletzten Jahrhundertwende.

«Müssen wir jetzt echt einen Stadtrundgang machen?!» Unserer Teenie-Tochter, 14, würde es absolut reichen, hier im Hafen von Neuchâtel ein Glace zu schlecken und sich an einem der umliegenden Seeuferstrände zu sonnen. Alle Strassencafés sind voll besetzt. Möwen kreisen, Wellen glitzern, Schiffe tuten. Man spricht französisch, es dufte nach «frites» und warmem Ziegenkäse.

«Es ist, als wenn wir im in einem anderen Land wären», bemerkt unsere 11-jährige Tochter in Ferienstimmung. Ihre ältere Schwester fleht: «Mieten wir doch ein Pedalo!?» Durchaus, das wäre alles auch zu geniessen, ich hole nun aber das Material für eine Schnitzeljagd hervor. Diese soll uns in die Zeiten der Belle Époque entführen – in jene kulturell blühenden Jahrzehnte rund um die Wende vom 19. und 20. Jahrhundert. Das Postenspiel "Les Chenapans" lockt bereits seit 2017 Familien in die Altstadt. 2019 wurde erneuert und erweitert.

Kurz darauf rufen die Mädchen: «So cool!», «ja, mega!» Die Spielkarten beflügeln unsere Töchter zum Aufbruch. Los geht’s! Mit Plan und Bleistift bewaffnet, schwirren sie alsbald durch die Gassen der Neuenburger Altstadt. Mein Mann versucht, das Spiel mit Logik zu unterstützen. Ganz schön verzwickt, diese Rätselrunde! Im Teamwork gelingt es uns, den ersten Posten zu finden.

Unversehens gehen wir in eine Parallelwelt über: Wir wandern achtlos an Kleiderläden vorbei, die unsere Töchter normalerweise magnetisch anziehen würden. Die reale Welt, das Samstagnachmittags-Shopping der anderen Leute, bemerken wir kaum noch: Für uns gibt es nur noch Marktfrauen, Hexen, Strassenjungen, Komödianten… Diese Figuren aus der Belle Epoque begegnen uns als Fresken, in Nischen und Schlupfwinkeln und erzählen uns Geschichten aus vergangenen Zeiten von Neuchâtel.

Weiter geht’s, vorbei an Kühen, Raben und Wölfen, manche davon sind nur Projektionen. Die Mädchen hüpfen über Bäche und Blumen, die auf dem Boden einer Gasse aufgemalt sind. An Häuserwänden prangen Drachen, Elfen, Seejungfrauen – was für eine farbenfrohe, verspielte Stadt! Die vielseitige Jagd treibt uns zum Schloss. Mist! Ein anderer Schnitzerjäger hat uns überholt. Rasch weiter! Wir holen auf! Schliesslich gelingt es uns, unsere Schatzkarte zu entschlüsseln: Sie führt uns an einen Ort, der erneut eine andere Zeit verkörpert: Mich erinnert die Auflösung des Spiels an James Bond in den 70er-Jahren… Mehr sei aber nicht verraten!

Nach vollendeter Jagd geniessen wir die Stimmung auf dem Altstadtplatz der Rue du Coq-d’Inde. Hier trinkt man im Schatten einen Apéro, spielt Strassenschach, gönnt sich Schokoladen-Crêpes. Ums Eck liegt das Café des Halles, dessen Gebäude im Mittelalter als Markthalle diente. Dort werden wir schon bald unter dem Sternenhimmel mit kreativer Neuenburger Marktküche verwöhnt.

Weitere 24 Stunden später sagt unsere Jüngste: «Es ist, als ob wir hier schon lange in den Ferien wären» Ja, wir haben viel erlebt: Sind mit Mietvelos dem Seeufer entlanggefahren, bis zum Archäologiepark des Laténiums, dem grössten Archäologiemuseum der Schweiz, das uns 50 000 Jahre in die Regionalgeschichte zurückgeführt hat – auf kindgerechte, spannende, sinnliche Weise.

Schwer zu sagen, was uns an diesem Wochenende am meisten beglückt hat: Der Genuss von Neuenburger Felchenfilets auf einer schicken Seeterrasse; eine Velofahrt durch Wälder, in denen man nebst dem Surren der Felgen nur das Singen der Vögel hörte; die Weiterfahrt entlang eines Kanals voller blühender Seerosen; das Froschkonzert während einer Rast; der weite Horizont über dem Seeland…? 

Schliesslich bringt uns das Dampfschiff «Neuchâtel» von Cudrefin auf der gegenüberliegenden Seeseite von Neuchâtel wieder zurück in jenen Hafen, wo für uns alles begonnen hat – zurück in eine Stadt, die unser Herz im Sommerrausch erobert hat.

 

Anfahrt per Zug: Ab Bern direkt bereits ab 34 Min. nach Neuchâtel, ab Zürich ohne Umsteigen in 1,5 Stunden, ab Basel via Olten oder Biel in 1,5 Std., ab St. Gallen ohne Umsteigen in knapp 3 Std. Per Auto: Ab Bern via A1 in knapp 1 Std., ab Zürich via A1 und A5 in 2 Std., ab Basel via A5 in 2 Std., ab St. Gallen via A1 in 3,5 Std.

Praktisch: Neuchâtel bietet jedem Hotelübernachtungsgast gratis eine Touristenkarte, mit der man viele öffentliche Verkehrsmittel, Schiffe und Museen kostenlos besuchen kann. Alles über Neuenburg, die Region Trois Lacs und das Jura: www.j3l.ch/de/. Mehr über das Laténium: http://latenium.ch/de/. Infos über die Schnitzeljagd «Les Chenapans»: www.neuchatelbelle-epoque.ch.

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