Leseproben und Projektbeschriebe

Landliebe erlernen

Allein die historischen Bauernhäuser auf dem Ballenberg sind grandios. Dieses Jahr lenkt das Freilichtmuseum das Agenmerk afu die über 250 Nutztiere, denen die Besucher begegnen können.

Ein närrisches Gurgeln ist zu vernehmen, kaum haben wir den Eingang West des Freilichtmuseums Ballenberg passiert. Vögel zwitschern, es summt um uns herum und – da! Hört mal, Kinder! – da ist es wieder dieses absonderliche Gluckern.

Wir entdecken den Verursacher: Es ist ein aufgeplusterter Wichtigtuer, dem eine längliche Fleischwarze über der Nase baumelt. «Iiiik!» kreischen unsere Kinder und nähern sich dennoch mit vorsichtiger Neugier dem Federtier: Einem Truthahn.

Die Kinder sehen in ihrem Alltag oft Hühner und Milchkühe, nun aber begegnen sie zum ersten Mal auch zahlreichen Nutztieren, die sie noch nicht kannten, die aber einst auf Schweizer Bauernhöfen selbstverständlich waren: So etwa den eigenartig gemusterten «Blüem»-Kühen, die als Glücksbringer für Stall und Hof galten, zwei braunen Ferkeln der Duroc-Rasse oder einigen besonders grossen Hühnern mit wuscheligen Fersenstulpen, den sogenannten «Brahmas».

Wir spazieren an historisch bedeutsamen Bauernhöfen und Handwerksstätten vorbei, die aus allen Schweizer Landesteilen stammen. Jedes dieser Gebäude wurde in seiner Ursprungsgegend abgebaut und hier auf dem Ballenberg originalgetreu rekonstruiert. Um uns herum gackert, blökt, grunzt und wiehert es. «Mami, schau!», ruft das eine Kind, «ich kann die Schnauze des Pferdes streicheln», «Papi, komm!» fordert das andere, «Der Hase macht das Männchen, wenn ich ihm Gras gebe». Die Besucher dürfen in die Gehege zu den Tieren – berühren erlaubt. Elf rosa Ferkel wühlen genüsslich in der Erde. «Wie schön, dass die Tiere so artgerecht leben dürfen», bemerkt unsere 11-jährige. Ja, die 250 Nutztiere, die auf dem Ballenberg gehalten werden, haben echt Schwein gehabt!

Durch das Geläut von Kuhglocken dringt Drehorgelmusik zu uns, und schon sausen unsere Mädchen zu einem Karussell. Während sie ihre Runden drehen, betrachten wir die Gemälde auf dem 120 Jahre alten Karussell: Szenen aus der Tell-Sage, Bilder von Schloss Chillon, dem Rheinfall und anderen Schweizer Sehenswürdigkeiten kreisen vor unseren Augen.

Neben dem Karussell lachen die Besucher vor einem Gehege: Darin klettern einige Zicklein über Baumstämme. Sie wagen lustige Sprünge, schlagen Flanken, purzeln herum – Situationskomik vom Besten. Die Tiere suckeln an allem, was ihnen vor die Schnauzen kommt: An Handtaschen, Jackenärmeln, hingehaltene Fingern. Aufgeregt lassen sich die Zicklein am Kopf kraulen – und rundherum hört man nur «Jöh!»- und «lueg, wie härzig!»-Ausrufe.

Tatsächlich ist hier alles «herzig»: Der Ballenberg ist wie eine eingezäunte heile Welt aus guten alten Zeiten, eine perfekte Schweiz, die es in dieser geballten Harmonie nie gab, uns Besuchern aber wohltut. Vergangene Armut und Mühsal sind vergessen, erhalten wurden indes schönste historische Bau- und Handwerkskunst. Wir hören das Klappern von Wassermühlen, das Surren von Töpferscheiben: Alle Handwerker, die hier ihre Arbeit verrichten, klären uns freudig über ihre Fertigkeiten auf. Auch die Gerüche entführen uns in alte Zeiten: In der Seilerei riecht es nach Hanf, beim Brandboden nach Kohle und – ein Höhepunkt für die Kinder! – in der Chocolaterie beim Eingang Ost nach köstlichem Schokoladenduft.

Mit Schoko-süssen Schleckmäulern treten wir den Rückweg Richtung Eingang West an. Wenn man den Ballenberg in Ruhe geniessen will, setzt man am besten einen ganzen Tag ein. Für unseren Rückweg reicht nun aber eine halbe Stunde. Es macht Spass, innert nur fünf Minuten von der Ausstellungs-Zone des Wallis zum Tessin zu marschieren, von dort aus im Nu die Romandie und in Ostschweiz zu streifen – und in jeder Region fühlt es sich «echt» an.

Unstimmig wird’s eigentlich erst, als wir draussen vor den Toren wieder Autos sichten und alles Gurgeln, Muhen, Schnattern und das Rasseln von Kutschen nun wieder im Motorenlärm untergeht.

 

Info-Box: Bauernhoferlebnisse hautnah

Im Freilichtmuseum Ballenberg stehen 2017 die Bauernhoftiere im Mittelpunkt. Ein neues Gehege bietet noch mehr direkten Zugang zu den Tieren. Ein Bastel-Pavillon lädt neu zum Werken ein, und die Kinderfigur «Nico» führt Familien auf spielerische Weise zu den spannendsten Attraktionen. Mehr Infos: www.ballenberg.ch.

Anfahrt zum Ballenberg in Hofstetten bei Brienz: Per Bahn: Von Interlaken oder Luzern mit der Zentralbahn direkt nach Brienz oder auf den Brünig. Von den Bahnhöfen Brienz und Brünig fährt ein Linienbus zu den Eingängen Ballenberg West und Ballenberg Ost. Mit Auto: Von Bern auf der A6 nach Brienz, von Zürich auf der A4 via Luzern und Brünigpass, via Chiasso auf der A2 via Gotthard und Göschenen.

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