Leseproben und Projektbeschriebe

Hoch hinauf und im Hui hinunter

Die längste Schlittelbahn der Welt führt vom Faulhorn in 15 Kilometern nach Grindelwald. Sie ist auch für Rodler ein Riesenspass.

PDF der Reportage

Eigentlich wollen wir jetzt einfach nur losschlitteln. Die Bussalp im Berner Oberland liegt uns glitzernd weiss zu Füssen. Die Mittagssonne drängt einige Wolken zur Seite, gibt einen Panoramablick auf Eiger, Mönch und Jungfrau frei. Auf der gegenüber liegenden Seite taucht das Faulhorn aus dem Dunst auf. Dort oben liegt der Anfang der längsten Schlittenbahn der Welt. Morgen wollen wir zweieinhalb Stunden zum Faulhorngipfel hinauf stapfen, unsere Schlitten eigenhändig auf 2680 Meter über Meer ziehen und dann ganze 15 Kilometer hinunter bis nach Grindelwald sausen.

Heute aber steht zuerst ein Aufwärmtag auf dem Programm. Unsere Schlitten liegen bereit. Wie man schlittelt, das weiss ja jeder, so denken wir. Aber da wir einige Tricks hinzu lernen wollen, haben wir uns für einen Rodelkurs angemeldet. Sogleich sind wir mitten in den ersten Trockenübungen, denn ohne diese Aufwärmung steigt selbst unser Lehrer Albert Steffen, nie auf sein Gefährt – und das als mehrfacher Schweizermeister im Rodeln. Erst jetzt wird uns klar, dass Schlitteln und Rodeln nicht dasselbe sind. Die vier Rodel, die Steffen für uns mitgebracht hat, haben im Gegensatz zu unseren harten Holzschlitten bequeme, federnde Sitze aus PVC-Tüchern und schräg gestellte, bewegliche Kufen: «Damit könnt ihr viel besser lenken als mit den flachen, festen Kufen eines Schlittens», so Steffen.

Seine Tochter Seline (9), zeigt uns nun vor, wie sie ihr Gefährt führt. Locker schwingt sie drei, vier Kurven. Angespannt tun wir es ihr trocken nach: Flach nach hinten liegen, Bauch anspannen, Hüfte nach rechts verlagern, linker Ellbogen hoch, Schnur links ziehen, linker Fuss hoch, damit Kufe nach rechts drücken, rechter Arm ausstrecken nach rechts unten…» befiehlt Steffen. Ächz! Rodeln ist keine Sonntagsfahrt, es ist ein Sport! Schliesslich stösst uns der Lehrer an, viel zu schnell geht’s los – und viel zu kompliziert! Welche Hand greift wo das Seil? Welcher Fuss drückt wohin…!? Wir Eltern und unsere zwei Töchter, 10 und 13, mühen uns tapfer auf der Übungsstrecke ab. Steif schlingern wir umher, stapfen wieder zurück nach oben. Wir üben konzentriert und lernen bremsen – «das ist das Wichtigste!», sagt Steffen. Mit der Zeit, kriegen wir tatsächlich die Kurven.

Mit jedem gelungenen Schwung trauen wir uns mehr, in die Kurven reinzuliegen. Seline führt uns geschickt an, ihr Vater fährt hinter oder neben uns, korrigiert unsere Fahrweise, gibt Tipps, feuert uns an. Schliesslich rodeln, lachen, kreischen und ächzen wir auf der gut präparierten «city-run»-Strecke von der Bussalp bis nach Weidli. Ganz hinunter, bis nach Grindelwald, dürfen wir nicht fahren, denn weiter unten liegt zu wenig Schnee, die Kufen würden Schaden nehmen.

Doch Vorsicht! Unsere Bahn dient zugleich als Strasse für die Grindelwald Busse, welche die Rodler zur Bussalp bringen. Tü-ta-to: Wer diesen Warnton hört, fährt rasch zur Strassenseite, damit der Bus passieren kann. «Das ist besser für Ihre und unsere Gesundheit», hatte der Fahrer via Lautsprecher gleich bei der Hochfahrt allen Passagieren erklärt. Kaum aber sitzen wir erneut im Bus rast uns ein jugendlicher Rodler entgegen, kann nicht mehr bremsen und… schlingert nur knappsten an uns vorbei.

Kreischen vor Vergnügen

Der junge Mann trägt Turnschuhe statt Winterschuhe mit Profil. «Solche Fahrer gibt es immer wieder», sagt unser Rodellehrer Steffen, «Sie rodeln ohne geeignete Ausrüstung, tragen keinen Helm, können nicht bremsen, das ist dann eben gefährlich». Tatsächlich nimmt die Zahl der Schlittelunfälle in der Schweiz zu, gerade auch, weil immer mehr Fahrer vom Schlitten auf den Rodel umsteigen. Deshalb gibt Steffen aus Überzeugung Rodelunterricht. Dabei reichen für Anfänger bereits ein, zwei Stunden aus. Dank den wichtigsten Grundkenntnissen gewinnen wir mehr Sicherheit – und haben mehr Spass!

Wie sich das lohnt, erleben wir am nächsten Tag auf der «Eiger-Run»-Strecke. Ein Sturm ist aufgekommen, daher wurde die Schlittenbahn beim Faulhorn geschlossen. Viele Gondelbahnen können nicht fahren, sodass wir einige der Wege in diesem weitläufigen Schlittel-Mekka nicht nutzen können. Darum tuckern wir ab Grindelwald mit der Zahnradbahn gemütlich zur kleinen Scheidegg. Im Angesicht der Eiger-Nordwand, im pfeifenden Wind, starten wir als nunmehr «fortgeschrittene» Rodler unsere Abfahrt. Zunächst müssen wir auf einigen flachen Streckenabschnitten das Gefährt ziehen, dann aber flitzen wir immer geschickter hinunter und sausen glücklich kichernd an jenen vorbei, die meinen, Schlitteln, das könne doch jeder.

GRINDELWALD BE

Bei Grindelwald BE liegt eines der besten Schweizer Rodelgebiete: www.grindelwaldbus.ch/de/schlitteln, www.grindelwald.swiss/schlitteln. Tageskarten für Erwachsene ab Fr. 38.-, für Kinder ab Fr. 10.-. Schlittellektionen (ab vier Personen) kosten 99 Franken pro Tag und Person, www.grindelwaldsports.ch. Speziell: Rodellehrer Albert Steffen erteilt auch Rollenrodelkurse im Sommer: www.schlittelclub.ch

Anfahrt: Mit dem Auto ab Zürich in 2 Std. auf der A8, ab Basel auf der A1 in 2 Std. Ab Bern in 1 Std. auf der A6. Mit der SBB: Ab Zürich via Bern – Interlaken Ost in 2 Std. 36 Min. Ab Basel via Interlaken Ost in 2 Std. 37 Min. Tipp: Das sehr freundliche Hotel Derby liegt direkt am BOB-Bahnhof www.derby-grindelwald.ch.

Vorfreude ist die schönste Freude: Kleine Rodler ziehen ihr Gefährt den Hang hinauf.

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