Leseproben und Projektbeschriebe

Bahn frei für Wanderlustige

Eine Region im Berner Oberland erkunden und Wissenswertes über den Bahnbau erfahren: an den Gleisen entlang durchs Kandertal.

Geschafft! Wir haben eine Feuerstelle oberhalb von Blausee-Mitholz BE erklommen. Ein steiler Waldpfad hat uns hierhergeführt, direkt neben ein Gleis der Bahngesellschaft BLS. Wir geniessen eine Panoramasicht über das Kandertal: Talaufwärts liegt Kandersteg, talabwärts Frutigen.

Aufgepasst! Jetzt kommt ein Rätsel: Von uns aus gesehen liegt Frutigen rechts, weiter dahinter liegt Bern. Hinter unserem Rücken braust ein Zug vorbei, angeschrieben mit Zielbahnhof «Bern». Er fährt indes nicht nach rechts Richtung Frutigen-Bern, sondern links vorbei, Richtung Kandersteg. «Warum in die Gegenrichtung?» fragt mein Mann in die Runde: Unsere drei Mädchen zucken die Achseln; wir Eltern zücken den Wanderflyer.

Darauf wird ersichtlich, dass unser Rastplatz zwischen zwei Bahnkehrschleifen liegt. Aha: Der Zug ist also zunächst in Richtung Bern gefahren. Dann hat er in einer ersten Kehrschleife um 180 Grad die Richtung geändert – unsichtbar in einem Tunnel. Anschiessend ist er auf einem tiefer gelegenen Gleistrassee an uns vorbeigebraust, in die Gegenrichtung. Nun vollzieht er bei Mitholz eine zweite 180-Grad-Wende, um sich so wieder in Richtung Bern auszurichten. Spannend, dies vor Ort zu beobachten!

«Aber warum macht er das?» fragen die Kinder. Weil die Züge eine steile Strecke bewältigen müssen: Als die Bauingenieure vor über hundert Jahren diese Stecke von Frutigen ins höher gelegene Kandersteg planten, sorgten sie dafür, dass der Zug diese Steigung Stufe um Stufe bewältigen kann. Dazu planten sie eine s-förmige Linienführung mit zwei Kehrschleifen ein.

Auch wir bewandern s-förmige Wege. Das ist für unsere Orientierung zunächst verwirrend, weil wir den Wandertafeln nicht glauben wollen, die uns plötzlich kehrtum schicken. Aber auch wir finden unseren Weg. Dabei wächst unser Respekt vor den Pionierleistungen des Bahnbaus mit jeder neuen Info-Tafel, auf die wir stossen. Seit Sommer 2019 hat die BLS den Bahnwanderweg mit neu gestalteten Infoelementen, Sitzbänken und Grillplätzen aufgewertet. Insgesamt 34 Tafeln vermitteln Wissenswertes über den Bahnbau und die Region.

Von Tafel zu Tafel ziehen wir den Gleisen entlang. Wir erkennen, was es heisst, steilste Felshänge und Schluchten zu bezwingen. Für uns geschieht dies gefahrlos, indem wir an einem beinahe senkrechten Fluhband über gut gesicherte Gitterrosttreppen steigen. Unser Pfad führt uns auch unter die Gewölbebrücken der Bahn, damit wir diese von unten anschauen können.

Aus dieser ungewohnten Perspektive erkennen wir, welch kühne Bauleistung dahintersteckt: Diese Brücken wurden einst aus Bruchsteinen gemauert. Ihre Pfeiler ruhen teilweise bis zu 20 Meter unter dem Bergschutt auf festem Fels. Sie zu erbauen muss härteste Knochenarbeit bedeutet haben! Heute können wir sorglos daran vorbei spazieren oder darüberfahren. Möglich ist dies auch dank aufwändig gebauter Lawinen- und Steinschlaggalerien und Auffangnetzen aus Stahlseilen. Auch darüber informiert eine Info-Tafel.

Der Weg ist streckenweise anstrengend. Für Kinder ist er gut machbar, für Kleinkinder wäre er zu schwierig. Wir kürzen die 19 Kilometer lange Bahnwanderung ab, was auf der Strecke jederzeit möglich ist, da mehrere Bushaltestellen gut erreichbar sind.

In Kandersteg besteigen wir nun jenen Zug, der Richtung Bern führt. Entspannt zurück gelehnt passieren wir darin weitere interessante Stellen, die auf dem Bahnwanderweg auch erläutert werden: So etwa die Ruine Felsenburg, die über zwei kühn erbauten Felsentunnels steht.

Schliesslich fährt auch unser Zug durch die beiden Kehrschleifen oberhalb von Blausee-Mitholz – für uns ist das ein Aha-Erlebnis! Kurz darauf passieren wir den bekanntesten Kunstbau auf der Löschberg-Nordrampe: Das 1912 erbaute Kanderviadukt. Am Vortag hatten wir dieselbe Strecke noch achtlos abgefahren. Nun sehen wir alles mit neuen Augen.

Info-Box

Anfahrt nach Kandersteg ÖV: Mit BLS-Bahn direkt ab Bern. Mit Auto ab Zürich und Basel auf A1 nach Bern und A6 nach Spiez. Ab Luzern auf A8 via Brünig-Spiez. Wanderroute: Der Bahnwanderweg Lötschberger Nordrampe ist zwischen Kandersteg und Frutigen zwischen April und November begehbar: www.bls.ch. Pionierwerke: Das erste grosse Pionierwerk der Lötschberglinie ist der 14,6 km lange, 1913 eröffnete Lötschbergtunnel. 2007 wurde zudem der 34,6 km lange Lötschberg-Basistunnel als Teil der NEAT in Betrieb genommen. Tipp: Wanderweg abkürzen, erst ab Blausee starten oder einen Abstecher zu diesem kostenpflichtigen Naturpark unternehmen! Der See ist ein Bijou. Im Park liegt ein schöner Spielplatz samt Feuerstelle: www.blausee.ch.

 

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