Leseproben und Projektbeschriebe

Workaholics im kalten Entzug

Die Zahl der arbeitslosen Manager steigt – nun müssen sie beweisen, ob sie tatsächlich krisenresistent sind.

Eben waren sie noch am Drücker: Sie leiteten Projekte, analysierten Prozesse, optimierten Verkaufsstrategien. Sie führten Menschen, übernahmen Verantwortung, trugen ihre Firmen durch Krisen.

Nun sind sie selbst in der Krise. Ihre Stellen wurden wegrationalisiert – der persönliche „worst case“ ist eingetroffen: die Arbeitslosigkeit. Bei den Arbeitsämtern melden sich immer mehr gestrandete Manager, hochqualifizierte Persönlichkeiten, brillante Köpfchen. Bereits über acht Prozent der Arbeitslosen in Zürich gehören zu der Gruppe bestausgebildeter Fachleute. Tendenz steigend. Insbesondere in Zürich und Genf, vorwiegend in den Sektoren Bank, Versicherung, Informations-Technologien (IT). „Wenn das so weiter geht, dann treffen uns katastrophale, gesellschaftliche Langzeitschäden“, sagt Willy Rüegg, stellvertretender Geschäftsleiter des Kaufmännischen Verbandes Zürich (KVZ).

Werden Top-Profis arbeitslos, fallen sie tief. Sie büssen nicht nur, wie jeder Arbeitslose, an Einkommen und Selbstwertgefühl ein, sie verlieren auch an Prestige und Macht. Noch schlimmer: ihre Wirkungsfelder werden ihnen entzogen. Dabei gehören die meisten unter ihnen zu jenem Typus Arbeitnehmer, der leidenschaftlich gerne arbeitet, der im Job Selbstverwirklichung sucht und im Extremfall nur für die Arbeit lebt.

Wird einem solchen Workaholic die Arbeit entzogen, sind die Entzugserscheinungen schmerzhaft. So sagt denn auch Kurt Schmid*, 42, die aufgezwungene Untätigkeit sei „nicht zum aushalten“. Schmid ist diplomierter Verkaufsleiter, hat zuletzt als Corporate Account Manager bei einem führenden amerikanischen IT -Unternehmen gearbeitet. Er ist seit sechs Monaten auf Stellensuche und fühlt sich „wie ein Ferrari mit angezogener Handbremse“. Auch Silvana Meister* hält die Arbeitslosigkeit nur schwer aus: Die neue Untätigkeit sei „zum verblöden“ erklärt die 44-Jährige. Sie hat vor kurzem ihre Stelle als Ausbildungschefin bei einer grossen Versicherung verloren. Und der 41-jährige Min-Soo Chang* bedauert, dass sein Potential brachliegt: „Ich könnte starke Ideen implementieren und einem Unternehmen viel geben, aber man lässt mich nicht“, sagt der entlassene Knowledge-Management-Experte einer Schweizer Grossbank.

Doch die guten Ideen sind jetzt nicht im Arbeitsprozess gefragt – sondern bei der eigenen Stellensuche. Während der Manager früher ein Produkt oder eine Dienstleistung vermarktet hat, soll er nun sich selbst vermarkten – und dies in einem Markt, der zunehmend enger wird, da weiterhin ganze Abteilungen mit gut qualifizierten Arbeitnehmern geschlossen werden. Oft geschehe dies mit „einer Arroganz und Missachtung seitens der Chefetagen, die bei vielen Entlassenen schwere seelische Verletzungen“ hinterliessen, erklärt Beat Ringger, Vorstandsmitglied der Online-Gewerkschaft //syndikat.

Kaum gefeuert, bläst den Stellensuchenden ein eisiger Wind ins Gesicht. Das Rennen um einen neuen Job wird zunehmend härter. Deshalb muss, wer ein berufliches Glückslos ergattern will, alle Register der Bewerbungskunst und Arbeitsbeschaffung ziehen. Die Stellensuche werde damit zu „einem Fulltimejob“, erklärt Heinz Schenkel, Kursveranstalter der Zürcher cm-p Consulting AG, der in einem neu geschaffenen Standortbestimmungskurs des Zürcher Arbeitsamtes den Managern „between two jobs“ Unterstützung bietet. Die ehemaligen Kaderleute lernen dort nicht bloss, wie sie sich überzeugend bewerben, sondern auch, wie sie die Arbeitslosigkeit psychologisch anpacken können: Indem sie beispielsweise analysieren, wo ihre Stärken liegen und diese selbstbewusst anbieten. Oder indem sie erkennen, dass dass Arbeitslosigkeit heutzutage längst kein persönliches Versagen mehr ist, sondern eine Konsequenz der aktuellen Wirtschaftskrise. Das ist eine wichtige Ausgangslage, denn wer sich in Selbstzweifeln oder gar Scham verliert, der wird bei seiner Selbstvermarktung nicht überzeugen.

Selbstzweifel kennt indes wohl jeder Arbeitslose, der monatlich zehn bis zwanzig Dossiers verschickt und kaum je zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird – für viele Hochqualifizierte ist dies heute eine Realität. So ergeht es derzeit dem Sales-Profi Schmid: Bisher verlief seine Karriere gradlinig, makellos, strikt erfolgsorientiert. Schmid war es sich gewohnt, „mit Vollgas“ seine Aufgaben anzupacken. Auf dieselbe Weise wollte er eine neue Stelle finden. Dass er nun schon über ein halbes Jahr auf „der Piste“ sei, das habe er nun wirklich nicht geplant. Und die Erkenntnis „hoppla, diese Arbeitslosigkeit kann länger dauern, als ich dachte“, die habe geschmerzt. Es sei ein erniedrigendes Gefühl gewesen, sich beim Arbeitsamt zum Stempeln anzumelden: „Da musste ich mir eingestehen, dass ich Hilfe brauchte – so etwas kratzt am Selbstwertgefühl.“

Doch Schmid fand im Kaderkurs der cm-p Consulting neue Freunde und im Kursleiter einen hilfreichen Coach; er baut auf ein starkes Netzwerk unter Berufskollegen – und er hat eine Partnerin, die an ihn glaubt. Das alles gibt ihm die Kraft, ein Power-Mensch zu bleiben. Silvana Meister hingegen wurde von ihren Partner just nach ihrer Kündigung verlassen. Auch ihr Bekanntenkreis reagierte irritiert auf Meisters Arbeitslosigkeit und zog sich von ihr zurück. Job weg, Freunde weg – Selbstwertgefühl am Boden. Silvana Meister brach zusammen, musste sich widerwillig von einem Psychiater helfen lassen und Antidepressiva schlucken. „Ich war immer eine Kämpferin und nun das…“ sagt sie. Auch sie weist einen vorbildlichen CV auf: Kontinuierliches Engagement, diverse Weiterbildungen, Leidenschaft für den Beruf. Sie weiss, dass sie ihre Stellensuche mit Elan anpacken müsste, aber sie schafft es derzeit nicht. Ihr Krisen-Rezept: Intensives Fitnesstraining, damit sie gesund bleibt; Gratisarbeit in einer sozialen Institution, damit sie „wenigstens etwas Sinnvolles“ tut; sowie regelmässige Psychotherapie, mit dem Ziel, raschmöglichst wieder sich selbst zu sein und Kraft für die Stellensuche zu finden.

Wer auf seine eigenen Stärken und sein Schicksal vertrauen kann, dem mag es durchaus gelingen, der Arbeitslosigkeit mit innerer Gelassenheit zu begegnen – so wie beispielsweise Min-Soo Chang: er sei selbst erstaunt, wie ruhig er sei, erzählt der gebürtige Koreaner, ein blitzgescheiter Analytiker mit ansehnlichem CV. Chang hat vor einigen Jahren schon einmal eine arbeitslose Lebensphase durchgestanden. Damals habe er „wahnsinnig gelitten“, diesmal hingegen scheint ihm das Wissen, dass „eine Krise eine Möglichkeit zur Selbstentwicklung“ ist, die nötige Zuversicht zu verleihen. Chang befasst sich intensiv mit westlicher und fernöstlicher Lebensphilosophie, meditiert seit dreissig Jahren, ist ein grosser Freund klassischer Musik. In diesen Dingen erfährt er Kraftquellen für sein Leben – jetzt erst recht. Sorgen bereitet dem Vater von zwei Töchtern einzig seine finanzielle Situation.

Die Arbeitslosigkeit hat trotz Stempelgeldern für viele ehemalige Kaderleute markante finanzielle Einbussen zur Folge: Das versicherte Maximum liegt derzeit bei monatlich 8'900 Franken. Wer Familie hat, erhält davon 80 Prozent, also 7120 Franken, wer kinderlos ist, bekommt 70 Prozent ausbezahlt, also 6320 Franken – minus Sozialabgaben. Damit kann man zwar überleben, wenn man indes, wie viele Banker, IT- und Kaderleute, zuvor zwischen 10'000 und 20'000 Monatseinkommen plus fette Boni erhalten hat, dann müssen bei einer Arbeitslosigkeit finanzielle Konsequenzen gezogen werden.

Der Luzerner Headhunter Daniel Zanetti weiss von gestrandeten Managern, die ihr Zweitauto verkaufen, ihre Kinder aus der Privatschule nehmen oder ihr Ferienhaus veräussern mussten. Solche Massnahmen bringen schnelle, finanzielle Entlastung. Schwieriger sei es indes, die hohen Fixkosten abzubauen, beobachtet Zanetti. „Insbesondere Familien müssen rasch umstellen und den Lebensstandard herunterfahren“, sagt Willy Rüegg vom KVZ. Auch Headhunter Orlando Pavano von der Zürcher Orpag betont, dass es heute „längst nicht mehr darum geht, der persönlichen Einkommens-Maximierung nachzueifern, sondern seine Einkommens-Verwendung zu überprüfen“. Die Kaderleute müssten sich finanziell repositionieren. Dies sei anfangs schmerzhaft, so Pavano, habe später indes oft den positiven Effekt, dass sich die einstigen Spitzenverdiener von „viel materiellem Ballast befreien“ und wieder andere, menschlichere Werte zu leben beginnen. Auch der Headhunter Zanetti ist überzeugt, dass „keiner ungeläutert aus einer Arbeitslosigkeit hinaus geht“.

Mit diesem Ziel vor Augen können die hochqualifizierten Arbeitslosen vor allem auf eines vertrauen: Dass sie von Berufeswegen fähig sind, ihre finanziellen und persönlichen Krisen zu überwinden. Rüegg vom KVZ beobachtet, dass viele Ex-Manager zuvor in Einzelpositionen, grosse Belastungen auf sich genommen haben: „Sie reagieren nun auch in der Arbeitslosigkeit gefasst auf Schwierigkeiten und können diese dank analytischer Überlegungen relativ gut ertragen.“ Auch Gewerkschafter Beat Ringger sagt, dass viele der jetzt Entlassenen in der beruflichen Projektarbeit schon oft mit Krisensituationen konfrontiert gewesen seien und deshalb auch die Arbeitslosigkeit professionell anpackten. Für einige – zum Beispiel IT-Fachleute ab 55 Jahren – sei die Situation indes sehr schwierig. Ihnen droht eine lange Arbeitslosigkeit.

So gilt es nun für die Stellensuchenden, genau jene Fähigkeiten einzusetzen, mit denen sie sich zuvor im Berufsleben ausgezeichnet haben: logisches Analysieren, strategisches Vorgehen und Durchhaltevermögen. Die Überwindung der persönlichen Existenzkrise wird zum neuen Aktionsbereich – vielleicht sogar zum schwierigsten Projekt, dem sich die Top-Profis bisher haben stellen müssen.

*Name geändert

Box: Auf Stellensuche – das ist zu tun

Vorbei die Zeiten, in denen man von Headhuntern abgeworben wurde. Wer heute auf Stellensuche ist, muss initiativ sein – egal ob in gekündigter oder ungekündigter Stellung Das sind die Massnahmen, die Sie treffen sollten:

– Verlangen Sie korrekte Arbeits-/Zwischenzeugnisse und lassen Sie diese von Experten prüfen (z.B. bei einem Berufsverband oder bei Rechtsexperten)

– Nutzen Sie nebst den klassischen Stellenanzeigern auch die Internet-Stellen-Sites und suchen Sie bei den Web-Auftritten Ihrer Wunschfirmen nach offenen Stellen.

– Aktivieren Sie Ihr Beziehungsnetz. Treffen Sie Branchenkollegen und tun Sie kund, dass Sie eine neue berufliche Herausforderung suchen.

– Kontaktieren Sie Headhunter und Stellenvermittler.

– Prüfen Sie einen potentiellen, neuen Arbeitgeber genau. Ist die Firma in einer Krise, droht die Gefahr, dass Sie kaum eingestellt, wieder entlassen werden.

– Treten Sie einer Gewerkschaft oder einem Berufsverband bei. In diesen Zeiten, müssen die Kräfte der Arbeitnehmer gebündelt werden.

– Nach einer Kündigung melden Sie sich unverzüglich beim Arbeitsamt an, je früher je besser, selbst wenn Sie noch Lohnempfänger sind, aber bereits freigestellt sind.

– Geben Sie sich flexibel in Lohnverhandlungen – die Spitzenlöhne von gestern sind heute nicht mehr angesagt.

– Überprüfen Sie Ihre Ausgaben, senken Sie Fixkosten (z.B. unnötige Abonnemente abbestellen, Krankenkasse-Franchise erhöhen etc.)

– Befreien Sie sich von allfälligem Groll auf den ehemaligen Arbeitgeber. Kein neuer Arbeitgeber will jemanden einstellen, der unbewältigte Probleme zur Schau trägt.

– Verfallen Sie während einer arbeitslosen Phase nicht in Untätigkeit. Engagieren Sie sich in Gratisarbeit, nehmen Sie einen Zwischenverdienst an, widmen Sie sich Familie, Freunden, Ihren Hobbies. Wer nichts tut, verliert an Kontakten und an Selbstbewusstsein, das ist fatal für die Stellensuche.

– Prüfen Sie die Selbstständigkeit – aber mit grösster Vorsicht. Die Regionalen Arbeitsvermittlungsstellen RAV geben dazu Auskunft.

– Klären Sie ab, welche RAV-Weiterbildungskurse Ihnen dienlich sein könnten.

– Geben Sie lebensphilosophischen Überlegungen Raum – die Arbeitslosigkeit kann auch eine Chance sein, sein Leben neu zu organisieren.

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