Leseproben und Projektbeschriebe

myliguria: Novemberliebe

Das mag sexy sein, aber bis zum Herz reicht so eine Liaison nicht. Ligurien will tiefgründiger erobert werden. Seine wahre Schönheit liegt nicht halbnackt am Strand. Sie ist verborgener, oft auch im Unscheinbaren. Man findet sie vielleicht in den ruhen …

Das mag sexy sein, aber bis zum Herz reicht so eine Liaison nicht.

Ligurien will tiefgründiger erobert werden. Seine wahre Schönheit liegt nicht halbnackt am Strand. Sie ist verborgener, oft auch im Unscheinbaren. Man findet sie vielleicht in den ruhenden Händen einer Nonna, die mit aller Zeit der Welt im Schatten sitzt, oder im Zwinkern des Verkehrspolizisten vor dem Kindergarten. Vielleicht auch im momentanen Nieselnebel, der allem Kantigen seine Schärfe nimmt. Und im afrikanischen Strassenhändler, der selbst dann noch durch unsere Gassen wandert, wenn alle anderen fliegenden Händler längst abgezogen sind. Winters wie sommers grüsst er uns mit einem Lächeln, hinter dem ich eine traurig-schöne Tiefe vermute.

Die ligurische Schönheit liegt auch in dem jungen Bauern, den ich mittwochs an seinem Markstand aufsuche. In seinem Ricotta steckt die Kraft der hiesigen Kräuter, die Hingabe seiner Ziegen, die bescheidene Arbeit seiner Mutter. Mit ihr zusammen bewirtschaftet er einen abgelegenen Hof. Mag sein, dass ich ihn romantisiere und zum tiefgründigen Landjungen verkläre. Egal, mir gefällt sein Blick – es ist Wärme darin. Er lacht und schüttelt den Kopf, als ich ihn frage, wo er denn abends gerne ausgehe. Was für eine Frage an einen, der morgens um fünf sein Tagwerk beginnt. Nein, er zieht nicht als latin lover durch die Nächte. Armani oder Gucci trägt er bestimmt auch nicht. Aber sympathisch ist er. Und er verlangt für den prallsten Blumenkohl des Marktes, den hausgemachten Sugo und Ricotta eine so unscheinbare Summe, dass ich mich winde, den Preis zu akzeptieren.

Neben dem Markt befindet sich die Bar: Erst jetzt im November ist hier wieder die Ruhe eingekehrt, die es dem Barista erlaubt, mit seinen Gästen ein Schwätzchen abzuhalten. Die Einheimischen kehren nun aus ihrem touristischen Volleinsatz zur Normalität zurück. Sie erzählen sich beim Aperitivo von der aktuellen Olivenernte und der anstehenden Wildschweinjagd. Diego schwingt die Espressotasse nun wieder mit Eleganz auf die Tresen – dazu fehlte ihm in der sommerlichen Hast der Elan. Und die Chefin des Cafés nimmt sich nun gerne die Zeit, um einige Brioche für die kleinen Gäste mit Nutella zu füllen – in der Hochsaison hätte sie bloss eilig vermeldet, dass alle Schokogipfel ausverkauft seien und damit basta. Jetzt dürfen die Kinder wieder Könige sein.

Es sind diese Kleinigkeiten, in denen der Winteralltag jede Menge Schönheit und Italianità offenbart. Freilich findet man diese auch im Sommer, wenn die Besucher aus aller Welt wie Konfetti über die „via dell’amore“ wirbeln – auch das gilt als „bella Italia“: Bunt und laut und fröhlich bevölkern sie dann den weltberühmten Felsenweg. Unter ihnen leuchtet träge das Meer, tiefblau und postkartenprächtig.

Heute aber schmettern sich die Wellen im Herbststurm an den Felsenpfad, die Gischt leckte den grauen, nassen Stein. Wer sich nun auf diese so einsame via dell’amore wagt, der wird spüren, was das ist: Das Ringen um eine echte, tiefe Liebe.

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