Leseproben und Projektbeschriebe

Wenn Prinzessinnen wieder Frösche küssen

Noch vor wenigen Jahren wurden sie als schräge Vögel verspottet. Heute ernten Naturgärtner dank stilvollen Wohlfühlgärten und hohem Ökofachwissen immer mehr Anerkennung.

In jener Welt, wo noch alles heil ist, tummeln sich Käfer, surren Libellen, toben Ronja Räubertochter und Biene Maia durch die Wildnis. Da schnarchen Igel, flattern Fledermäuse, küssen Prinzessinnen Kröten: In den Kinderbüchern gibt’s das noch – draussen vor unseren Haustüren sieht’s anders aus: In zubetonierten Siedlungen, auf englischem Rasen oder auf mickrigen Balkonen kreucht und fleucht nichts mehr.

So hält die Rückbesinnung Einzug. Immer mehr Menschen, die ein Stückchen Grün besitzen oder verwalten, fragen sich, ob man die verlorene Natur denn nicht wieder zurück holen kann? Ja, man kann: Mit Naturgärten. Ein grosser Prozentsatz des Anteils an unbebauter Fläche ist in privater Hand – also in unseren Gärten. Einzelnen Berechnungen nach ist ihr Anteil grösser als alle Naturschutzgebiete zusammen. Allerdings sind noch die meisten Privatgärten mit steriler Standardbegrünung und oft auch mit exotischen Pflanzen bestückt – beides zeugt von geringem ökologischen Wert.

Demgegenüber zeigen Forschungsresultate der Sheffield Universität in England, dass naturnah gehaltene Gärten einen erheblichen Beitrag zur Förderung der Biodiversität leisten können. Hierzulande sind zum Beispiel mehr als 1000 heimische Pflanzenarten geeignet, in Gärten gepflanzt zu werden. Viele in der Natur bedrohte Arten befinden sich darunter. Wiederum ist ein Grossteil unserer Tierwelt auf heimische Wildpflanzen als Nahrungsspender angewiesen. Wer indes Exoten wie etwa Sommerflieder, Aufrechte Ambrosie oder Essigbaum in unseren Breitengraden pflanzt, verdrängt damit die heimischen Pflanzen und Tiere – die aggressiven Fremdlinge nennt man „invasive Neophyten“. Sie tragen weltweit zum Rückgang der biologischen Vielfalt bei.

Ein Naturgärtner kennt diese komplexen Zusammenhänge und nimmt bei der Gartenplanung darauf Rücksicht – kein Wunder, dass sein Fachgebiet in diesen Zeiten an Terrain gewinnt: Naturnahe Gärten machen zwar erst schätzungsweise fünf Prozent unseres gesamten Siedlungsgrüns aus, haben sich aber als ernstzunehmender Trend etabliert. Das zeigt sich allein schon darin, dass gewisse Ideen der Naturgartenbewegung inzwischen auch von herkömmlichen Gärtnern aufgenommen werden. Selbst Grossverteiler Coop hat 2008 eine „Bau + Hobby“-Broschüre über „invasive Neophyten“ publiziert und einige der Fremdlinge konsequent aus dem Sortiment gestrichen.

Vor dreissig Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Entstanden ist die Idee der Naturgärten damals in einer ideologisch beeinflussten Öko- und Weltverbesserungsphase. Inzwischen hat sich die Naturgartenbewegung professionalisiert und den heutigen Bedürfnissen angepasst. Selbst in der Wortwahl sucht man, das Radikale abzuschwächen – bevorzugt wird nicht mehr von „Naturgärten“ sondern von „naturnahen Gärten“ gesprochenDie meisten Anhänger haben ihr Birkenstock-Image abstreift. Sie versuchen der Gratwanderung gerecht zu werden, nachhaltig zu arbeiten und zugleich die Kundenwünsche nach stilvollen Gartenräumen, nach „Lifestyle“ und Genuss gerecht zu werden.

Genuss ergibt sich in einem naturnahen Garten quasi von selbst: Denn eine solche dynamisch Oase animiert dazu, die Natur wieder mehr wahrzunehmen und sich daran zu erfreuen. So biete ein naturnaher Garten vielen Besitzern das Gefühl von „Urlaub zu Hause“, sagt Naturgärtner Christoph Winistörfer aus Malters (LU). Wenn sich Schmetterlinge und Grashüpfer vor der Haustür tummeln und Vögel zirpen, dann kreiere dies eine „Wellness-Atmosphäre mit Genusseffekt“. Zudem muss ein naturnaher Garten nicht so geordnet sein und streng gepflegt werden, wie ein herkömmlicher Grünraum. Statt dass die Besitzer fortlaufend mähen, schneiden, jäten, eindämmen und der Natur entgegenwirken, lehnen sie sich getrost auf ihrem Liegestuhl zurück und lassen ihr ihre Dynamik (hin und wieder pflegen aber auch sie – sonst würde unweigerlich Wald entstehen). So preisen sich diese Naturfreunde denn auch gerne als Individualisten, Geniesser und Entdecker. Da diverse Untersuchungen zeigen, dass Kinder sich in einem naturnahen Umfeld besser entwickeln, sorgen solche Gärten ausserdem für die „artgerechte Haltung von Kindern“.

Die Naturgärtner-Szene gibt sich also bewusst locker; sektiererisches Auftreten ist passé. „Wir sind keine schrägen Vögel mehr“, sagt Patricia Willi von der Wildenstaudengärtnerei in Eschenbach (LU), die hierzulande bekannteste und grösste Anbieterin von einheimischen Pflanzen. Sie hat von den rund 3000 einheimischen Pflanzen rund 500 im Angebot. Heute seien Fachwissen und klare Prinzipien zwar weiterhin unerlässlich – Willi arbeitet streng nach „Bio Suisse“- und „Demeter“-Kriterien – die ideologische Färbung habe indes der Freude Platz gemacht: „Ich will Gartenbesitzer sensibilisieren und sie vor allem für die Schönheit unserer einheimischen Pflanzen begeistern“. Ähnlich sieht es auch Peter Steiger von „Pulsatilla“ aus Rodersdorf (SO), einer der Einmann-Betriebe aus den Anfängen der Bewegung: Für ihn basiere seine Arbeit nicht auf Ideologie – sie mache ihm einfach Spass, nicht zuletzt, weil die Kundschaft sich sehr für sein Tun interessiere und engagiert mitgärtnern würde.

Dieser freudigen Entwicklung zum Trotz – Kritiker gibt es weiterhin: So stören sich beispielsweise Liebhaber von herkömmlichen Gärten an Nachbars anarchischem Wildwuchs und monieren, dass der Besitzer zu faul zum jäten sei; Liegenschaftsverwalter fürchten, eine Naturgartenanlage würde in ihrer Siedlung als ungepflegt abgestempelt, herkömmliche Gärtner fühlen sich provoziert, da ja auch sie durchaus mit der Natur arbeiten und nicht etwa „künstliche“ Gärten bauen. Ausserdem fürchten sich viele Menschen vor Spinnengebein und Schlangenbrut. Kein Zweifel: Natur lebt. Wer gerne alles unter Kontrolle hat, sich vor Algen im Schwimmteich ekelt und kein Kriechgetier zu sehen wünscht, wird sich mit Gänsehaut aus einem Naturgarten stehlen.

Dennoch weiss auch der Schweizer Gärtnerverband „Jardin Suisse“ die einst schrägen Aussenseiter zu schätzen: Zentralvorstand Ueli Leuthold, bezeichnet sie als „nicht mehr wegzudenkende Spezialisten, die einen wertvollen Beitrag an die Gartenkultur leisten“. So lobt er vor allem ihr hohes Fachwissen. Das Angebot an Schulung wurde erst kürzlich ausgebaut. Das Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen der Hochschule Wädenswil (ZAHW), das schon seit 17 Jahren einen Naturgartenlehrgang anbietet, hat neu vor wenigen Monaten einen zusätzlichen Lehrgang gestartet, der es Gärtnern ermöglicht, sich in diesem Gebiet zum „Obergärtner/Typ Naturgartenspezialist“ weiterzubilden.

Nebst professionellerem Auftreten, überzeugen die Naturgärtner inzwischen auch mit stilvollen Gartenkonzepten. Patrick Allmann, Initiant und Mitorganisator der grössten europäischen Garten-Indoor-Messe Giardina erinnert sich: Als er 1999 mit der Winkler & Richard AG aus Wängi (TG) zum ersten mal eine Naturgärtnerei einen Giardina-Schaugarten bauen liess, war dies angesichts des Lifestyle-verwöhnten Publikums noch ein gewagtes Vorhaben. Es wurde aber zu einem „Riesenerfolg“, wie Allmann sagt. Seither ist die W&R an jeder Giardina vertreten und gewinnt für ihre Sonderschauen immer wieder die begehrten Giardina-Awards.

Heute ist sie laut eigenen Angaben mit über 30 Angestellten und über 200 Kundengärten, die sie regelmässig pflegt die grösste Naturgärtnerei in Europa. Allmann ist überzeugt: „DieW&R hat bewiesen, dass naturnahe Gärten durchaus Stil haben können. Sie erfüllt hohe Ansprüche an ästhetische Gestaltung und bringt immer wieder avantgardistische Elemente ein“. Dadurch hätte sie ihrer Bewegung „als Wegbereiter einen grossen Dienst“ erwiesen. In ihrem Schaugarten an der diesjährigen Giardina zeigt die W&R, wie man mit wenig Raum, also etwa in städtischen Verhältnissen, kleine naturnahe Oasen schaffen kann (Die Giardina findet vom 18. bis 22. März im Messezentrum Zürich statt).

Angesichts der zunehmenden Nachfrage nach Naturgärten drängte es sich für die Spezialisten auf, Richtlinien für eine Zertifizierung zu erstellen und sich in einem starken Verband zu organisieren. Vor einem Jahr schlossen sich daher die 45 Mitglieder des Verein Naturgärten (VNG) mit dem Verband Bioterra zusammen.  Anhand eines Bioterra-Zertifikates (vergleichbar mit „Demeter“-Grundsätzen) haben Kunden Gewähr, dass ihre naturnahe Anliegen korrekt umgesetzt werden. Bioterra verlangt, dass Naturgärtner konsequent für nachhaltige, lebendige, biologische und dynamische Lebensräume sorgen.

So bieten beispielsweise Trockenmauern Unterschlüpfe für Echsen; Wildblumenwiesen locken Schmetterlinge an; Natur-Pools beherbergen Lurche – zahlreiche „Obdachlose“ finden hier also wieder eine Heimat. Naturgärtner berücksichtigen auch, dass beispielsweise eine Mauerbienenart ihren Larven ausschliesslich die Pollen des Natterkopfs verfüttert, dass 63 Vogelarten die Beeren des heimischen Schwarzen Holunders fressen (während lediglich drei Arten diejenigen des eingeführten Kirschlorbeers mögen). Sie erklären ihren Kunden, dass eine Rhododendron-Blüte mit ihrer protzigen Blüte keinem Tier Nahrung gibt, während eine Salweide zwar nur bescheidene Blüten aufweist, mit ihr aber über 300 Tierarten etwas anfangen können.

Bloss, was tun, wenn der Gartenfreund nun mal Forsythien oder Magnolienbäume mag? Beide sind für unsere Fauna und Flora ein Nullwert. Peter Richard, Inhaber der W&R gibt sich pragmatisch: „Wenn jemand trotz unserer Aufklärung diese Pflanzen liebt, dann lasse ich ihm selbstverständlich seine Freude“. Sein Berufskollege Peter Steiger sagt, er nehme bei Privatkunden auch auf solche Wünsche Rücksicht, bei Renaturierungen in der Landschaft halte er sich indes streng an heimische Pflanzen.

So arbeiten die Naturgärtner letztlich wie alle Dienstleister – sie tragen den Bedürfnisse ihrer Kundschaft Rechnung. Was meist nicht schwer fällt, weil sie in der Regel eine interessierte, lernwillige, gut ausgebildete Kundschaft aus dem privaten und öffentlichen Bereich haben. Wie ein Privatgarten auszusehen hat, das entscheiden zu rund drei Viertel meistens Frauen. Allmann hat an der Giardina beobachtet, dass es insbesondere die Frauen sind, die positiv auf Naturgärten reagierten, „oft ohne jegliche Ideologie, sondern einfach, weil sie sich von der Atmosphäre angesprochen fühlen.“

Zunehmend sind es auch Prominente, die auf mehr Naturgenuss schielen. Prince Charles macht in seinem Garten von Highgrove als der berühmte, biologisch gärtnernde Prinz für naturnahe Gärten gute Werbung; in der Grünanlage der deutschen Abtei Münsterschwarzach hat der Benediktinerpater Anselm Grün einen Schwimmteich anlegen lassen; hierzulande weiss man von Konzertorganisator André Bechir und von Kunstsammler Ueli Sigg dass sie auf naturnahe Elemente in ihrem Garten setzen. Auch das bekannte Kolumnistenpaar der Coop-Zeitung „Schreiber vs. Schneider“ hat sich im letzten Jahr ein naturnahe Oase geleistet.

Keine Sorge: Um naturnahe Elemente in die Welt zu setzen, braucht man weder ein grosses Portemonnaie noch eine eigene Grünfläche – es reichen dazu einige wenige Franken für die Samen einer Wildblume sowie ein paar Quadratzentimeter Fenstersims für einen Blumentopf. Das fundierte Nachschlagwerk „Flora Helvetica“ führt sämtliche einheimischen Pflanzen auf; auch geben einschlägige Websites Auskunft für die geeignete Wahl von Balkon-, Terrassen-, und Gartenpflanzen (siehe Link-Liste). Die Kosten für einen kompletten, naturnahen Garten eines Einfamilienhauses liegen in der Regel zwischen 30'000 bis 60’000 Franken. Für einen Schwimmteich muss man mit rund 60'000 – 70'000 Franken rechnen.

Als Kolumnist Steven Schneider den Kostenvoranschlag von W&R für seinen neuen Garten studierte, fand er dies „verdammt viel“, so schrieb er in einer seiner Kolumnen. Schreiber und Schneider rechneten und dachten nach… Monate später schrieb Schneider in einer weiteren Kolumne, er habe sich nun entschieden, Wildbienen zu retten, und zwar „verdammt viele“.

Seit er nun seinen Naturgarten hat, spielen seine zwei Töchter in einer Welt voller Käfer, Bienen und Grashüpfer. Sie füttern mit Hingabe „ihren“ Igel. Noch haben sie keine Kröten geküsst, bei Bedarf könnten sie das aber demnächst in Uffikon (LU) tun. An Ostern eröffnet dort der sogenannte „Tempelhof“: das ist ein 113'000 Quadratmetergrosses Gelände, das Ästhetik und Ökologie, Ethik, Kunst und Nachhaltigkeit verbinden will (früher bekannt als KKL Uffikon).

Dort erbauen derzeit alle Bioterra-zertifizierten Naturgärtner im Kollektiv einen 1120 Quadratmeter grossen Naturgarten samt Teichen. Darin sollen unter anderem die vom Aussterben bedrohten Glöggli-Frösche (Geburtshelferkröten) ein sicheres Zuhause finden. Sie verbreiten ein angenehmes, helles, flötenreines „üh..üh..üh“, dessen Klang an ein Glockengeläut erinnert.

Fehlen bloss noch Elfen, die zum Glockenspiel tanzen – und schon erinnert das an eine beinah vergessene heile Welt.

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