Leseproben und Projektbeschriebe

Motorradtour durch den Schweizer Jura

Das Jura ist ein Töfffahrermekka. Bericht von Fahrten über kurvenreiche Passstrassen und entlang von wildromantischen Flüssen.

Eine einzige Mini-Box mit zwei Zahnbürsten, T-Shirts, Slips und Badehosen haben wir gepackt. Mehr nicht. Ohne fixe Reiseroute sind wir los gezogen, bloss mit der Vorfreude auf hügelige Landstrassen, herzige Beizli und romantische Herbergen. Ein mehrtägiger Trip durch den Jura soll es werden. Und das mit einer 750er Moto Guzzi Breva, die uns die Mohag Zürich zur Verfügung stellt.

Ihr Vibrieren macht mich schaudern – was für eine Kraft brummt da unter meinem Hintern! Drei Tage lang werden wir der Nase nach über den Asphalt düsen, den Sommerwind im Gesicht, den Geschwindigkeitsrausch in den Adern. Mein Partner auf seiner betagten Tenere, ich auf der brandneuen Guzzi. Einige Sonnenstrahlen zwängen sich durch die Wolkendecke. Ich gebe Gas, ein Schub Adrenalin versetzt mich in diesen kribbeligen, hellsichtigen Wachzustand, den ich nur beim Töfffahren kenne.

Eine Stunde später zittern uns die Knie vor Kälte, Regentropfen rinnen in den Kragen, Lastwagen nehmen uns ins Schwitzkästchen. Autobahn Zürich – Bern: Chaos vor dem Bareggtunnel. Warnlichter. Baustellen. Im Grau des Mittellandes leuchtet eine Temperaturtafel: „16 Grad“ – damit hatten wir nicht gerechnet. Es ist Hochsommer, und der Wetterbericht versprach am Morgen, dass sich die Wolken demnächst auflösen würden. Wir brausen stur vor uns hin. Bei dieser Wetterlage wäre man in einem Auto besser aufgehoben, dennoch wetteifern wir lieber mit den Elementen. 

In einer Fernfahrerbeiz bei Oensingen heizen wir uns mit heisser Schoggi auf. Ein triefnasser, deutscher Töfffahrer betritt das Lokal, er kommt von der Normandie und will noch heute nach Hause fahren. Wir kommen rasch miteinander ins Gespräch, tauschen die Wetternews aus, begutachten gegenseitig unsere Motorräder. Selbst wenn wir sonst nichts miteinander zu tun hätten – auf dem den Bikes fühlen wir uns verbunden. Man teilt schliesslich dieselben Risiken, Herausforderungen, Fahrfreuden.

Nach Oensingen erheben sich die schroffen Felswände der ersten Jurakette direkt neben der Strasse: Nacktes, nasses, mächtiges Gestein, dazwischen Abschnitte mit Wäldern, Weiden, Berner Riegelhäusern, und schliesslich der Steinbruch von Gänsbrunnen, der wie eine helle, aufgerissene Wunde in der ansonsten lieblichen Landschaft klafft. Auf der Strassenkarte haben wir ein Weglein entdeckt, das durch den Wald bei Gänsbrunnen führt, da wollen wir durch. Doch die Schotterstrasse endet für uns bei einem Fahrverbot. Wir müssen zurück auf die Hauptstrasse und ruckeln zwischen Autos, Baustellen und Industriebauten an Moutier vorbei.

Spannend wird’s erst wieder auf dem Chasseral. Dort gibt es keine Besiedlung mehr, keine Autos. Da muss man höchstens mal einer Kuh ausweichen, weil das private Passsträsslein mitten durchs Weideland führt. Man liegt in die Kurven, jedes mal ein wenig tiefer, überwindet dabei die Schwerkraft. Ich feile an meiner Kurventechnik, spiele mit der Kupplung, tüftle am Fahrstil, wanke zwischen Wagemut und Vernunft. So sausen wir durch weisse Nebelschwaden, einem Greifvogel gleich, der mit geschlossenen Augen über die Bergwelt segelt. Für einen kurzen Moment reisst der Nebel auf und gibt einen fantastischen Blick auf die steil abfallenden Weinberge, den Bielersee und die St. Petersinsel frei.

Da unten, im urtümlichen Winzerdorf Twann, fahren wir an einigen hübschen Bistros vorbei und entscheiden uns für das Restaurant Engelberg. Es gehörte einst zu einem Benediktinerkloster und wartet daher mit einem Gartenlokal an schönster Lage auf: direkt an einem kleinen Hafen, neben der Bootsanlegestelle der Passiergierschiffe. Das Lokal hat einen gut gelaunten, äusserst freundlichen Kellner und eine verführerische Speisekarte: Wir essen wunderbare Egli-Knusperli und verzichten wehmütig auf eine Flasche Twanner. Trinken ist erst abends angesagt. Zuvor wollen wir noch kreuz und quer durch die Freiberge cruisen.

Die Nacht werden wir in Saignelégier verbringen, im alternativen Hotel „Le Café du Soleil“, direkt neben einer Pferde-Ranch. Ein Gatter nur trennt meine Guzzi von einer Gruppe weidender Pferde: Ich versuche mir vorzustellen, wie das Motorrad die Kraft von 45 Rössern in sich vereint – was für ein kompakter Power unter all dem Chromstahl! Vor dem Hotel stehen lange Holztische, überall liegen Spielsachen herum – sieht so aus, als ob Gross und Klein hier gerne verweilen würden. Die eine Aussenwand des Hauses ist mit Bildern im Stil indischer Werbeplakate bemalt, der Kellner trägt lange Haare und Piercing, im Restaurant sitzen am Abend eine Handvoll bärtiger, angegrauter Männer beim Rotwein. Sie politisieren, philosophieren, fuchteln mit den Händen, lachen heiser und rauchen zu viel – so ungefähr stellte ich sie mir immer vor, die rebellischen Jurassier.

Als wir uns tags darauf mit dem Fotografen treffen, sind die Strassen trocken. Bald wird sich die Sonne durchsetzen. Wir unternehmen eine Erkundigungsfahrt an die französische Grenze nach Goumois. Der Zoll liegt direkt an einer Brücke des Doubs und wirkt etwas verlassen in dieser romantischen Wildnis. Nur wenige Autos kreuzen hier unseren Weg – es sind alles Wahnsinnige: Sie rasen im Höllentempo an uns vorbei, haben ihre Autos zu Ralley-Racers hochgetunt. Ein Bauer, der seine Kühe über die Strasse treibt, lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Als wir uns mit den Motorrädern durch seine Herde schlängeln, winkt er uns lächelnd zu. Für die Fotosession kurven wir zwischen Tramelan und Bellelay an Pferdeweiden und Wäldern vorbei, die an die Grosszügigkeit Kanadas erinnern.

Am Nachmittag, irgendwo bei Le Locle reisst der Himmel auf: Blau – immer mehr blau. Und endlich Sonne. Alles wird hell und heiter. Die Strasse zwängt sich durch gewaltige Felseinschnitte, unter uns öffnet sich die grüne Weite des Doubs-Tals. Sattgelbe Sonnenblumenfelder lachen uns zu, junge Maisstauden recken sich dem Himmel entgegen, Fohlen hoppeln über ihre Weiden, Weinblätter glänzen im Abendlicht. Es ist, als ob ein Heimatfilm im Zeitraffer an mir vorbei flöge. Ich rolle und rolle, denke nichts mehr, will nichts mehr. Die Guzzi scheint zufrieden zu summen. Sie zieht ihre Runden, mit viel Kraft und Ruhe, mit genügend Reserve und einer Beschleunigungskraft, die jedes Überholen zum Vergnügen macht. Wir fahren durch das Vallé de la Brévine, ein Stück weit auch durch das Val de Travers, über Bächlein und um kleine Seelein herum. Es riecht nach frisch gemähtem Gras, nach Dünger, feuchtem Waldboden. Schmetterlinge flattern um unsere Helme, Greifvögel kreisen über den Feldern.

Die Offenbarung des Tages folgt auf der Passstrasse nach Ste-Croix, einem kleinen Velo- und Töfffahrermekka mit kurvenreichen Anstieg bis auf knapp 1200 Meter und anschliessender Abfahrt durch tiefe Tannenwälder, vorbei an Aussichtspunkten, bei denen einem das Seeland, der Lac de Neuchâtel und Yverdon-les-Bains zu Füssen liegen.

Gegen Abend erreichen wir Romainmôtier, eine Ansammlung mittelalterlicher Häuser, eingebettet in bewaldete Hügel und saftige Matten, beseelt von einer der bedeutendsten Klosterkirchen der Schweiz. Man würde an einem solch intakten, historischen Ort Touristenpulks erwarten. Und Kioske mit Postkarten und Kuhglockenimitaten. Aber Romainmôtier präsentiert sich, als ob wir alle noch zu Gotthelfs Zeiten lebten: in bescheidener Ruhe, fern von jeglichem Kommerz..

Zu Fuss folgen wir einem Bächlein, das sich durch Wiesen und Waldstücke schlängelt. Weinbergschnecken kriechen am Ufer, Libellen tanzen in der Luft, eine junge Frau im langen, roten Abendkleid trippelt an uns vorbei – man wähnt sich in einer Szenerie von „Drei Nüsse für Aschenbrödel“, jenem Spielfilm, der zum Inbegriff für Romantik-auf-dem-Lande wurde. Kein Wunder, dass sich hier in Romainmôtier auch das Hotelzimmer dementsprechend mittelalterlich, samtschwer und brokatbehangen präsentiert.

Es schmerzen nun der Po, das Kreuz, ein wenig der Nacken, ja selbst das Handgelenk vom Gas geben und die Ohren vom Druck des Helmes. Zufriedene Müdigkeit macht sich breit. Vor uns duften die knusprigsten Pommes Frites, die ich je bekam, saftige Entrecôtes und einige Minigemüse. Nach einer Flasche samtigen Rotweins, schaffen wir es kaum noch die Treppe zum Zimmer hoch.

Am nächsten Morgen entdecken wir das weitläufige Vallée du Joux und den herzig-kleinen Lac de Joux. Wir kurven über den Col du Marchairuz auf einer Passstrasse, die von Trockenmauern gesäumt, an Schottland denken lässt: felsig, wild, inmitten mächtiger Tannenwälder. Danach ist es uns egal, dass wir noch 200 Kilometer Autobahn bis nach Zürich hinter uns bringen müssen. Selbst Regen hätte uns nichts mehr anhaben können. Mein Kopf ist voller Bilder von glitzernden Seen, lichtdurchfluteten Wäldern und leuchtenden Sonnenblumen. Noch Stunden nach der Fahrt schwingt mein Körper in der Vibration der Guzzi – ich brauche bloss die Augen zu schliessen, um wieder weiter zu fliegen.

 

Strecke: Zürich – Oensingen – Moutier – Tavannes – St-Imier – Chasseral – Twann – Saignelégier – Les Breuleux – La Chaux-de-Fonds – Le Locle – La Brévine – Fleurier – Ste-Croix – Orbe – Romainmôtier – Le Pont – Le Brassus – Col du Marchairuz – Bière – Cossonay – Yverdon-les-Bains – Bern – Zürich.

Kilometer/Zeitaufwand: 700 Kilometer, mind. 10 Std.

Restaurant: Restaurant Engelberg, 2513 Twann, Tel. 032 315 11 25

Hotel: alternativer Kulturtreffpunkt, sympathische, schlichte Pension: Café du Soleil, Saignelégier, Tel. 032 951 16 88, www.cafe-du-soleil.ch. Romantisch, sehr freundlich, angenehm nachlässig: Hotel St. Romain, 1323 Romainmôtier, Tel. 024 453 11 20.

 

Weitere Motorradtouren in der Schweiz:

Die Spritz-Tour ab Zürich

Strecke: Zürich – Langnau a.A. – Buchenegg – Hausen a.A. – Sihlbrugg – Hirzel – Einsiedeln – Birchli – Willerzell – Oberiberg – Schwyz – Steinen – Sattel – Oberägeri – Sihlbrugg – Zürich

Kilometer/Zeitaufwand: 135 km, ca. 2 Std.

Varianten: Tour-Verlängerung via Willerzell – Sattelegg – Siebnen – Niederurnen – Glarus –Klausenpass – Altdorf – Schwyz (120 km, ca. 2 Std.)

Landschaft: romantische Hügel, Seen, Wiesen, Wälder, teilweise Gebirge

Geeignet für: Anfänger und Sonntagsfahrer

Sightseeing: Kurzer Fussmarsch ab „Tobelbrücke“ zu den Höllgrotten (Anfahrt via Bethlehem Richtung Zug), Infos: Tel. 041 761 83 70

Verpflegung: wunderschön direkt an der Sihl gelegen: Restaurant & Partyhaus Szenario, Spinnerereistr. 2, 8135 Langnau am Albis, Tel. 01 713 17 11,www.szenario-restaurant.ch

Die Monster-Tour ab Luzern

Strecke: Luzern – Wolhusen –  Entlebuch – Schlüpfheim – Schallenberg – Steffisburg – Thun – Spiez – Jaunpass – Bulle – Col des Mosses – Aigle – Sion – Brig – Ulrichen – Nufenenpass – Airolo –  Biasca – Lukmanier – Disentis – Andermatt – Wassen – Sustenpass – Innertkirchen – Meiringen – Brünig – Sarnen – Luzern  

Kilometer/Zeitaufwand: 650 km, mind.10 Std.

Varianten:

·        Unbefahrene, abenteuerliche Off-Road-Strassen im Militärübungsgebiet vor dem Col des Mosses, ab La Lécherette via Corbeyrier nach Aigle. Achtung: das Militär verbietet die Durchfahrt während seinen Übungstagen (30 km, 1 – 2 Std.)

·        Abstecher nach Frankreich/Italien via Martigny – Chamonix-Mt-Blanc – Courmayeur – Aosta – Col du Gd St-Bernard – Martigny (180 km, 2 – 3 Std.)

·        Abstecher in die wilden Walliser Seitentäler zwischen Martigny und Brig (z.B. Val de Bagnes, Val d’Héremence, Saastal, je nach Tal hin und retour 30 – 60 km, 30 – 60 Min.)

Landschaft: Seen, Berge, Pässe, Hochgebirge, Off-Road-Täler

Geeignet für: erfahrene, ausdauernde Enduro-Freunde und geübte Tourenfahrer

Highlight: kleiner Fussmarsch durchs mittelalterliche Städtchen Gruyères zum Schloss auf dem Hügel

Restaurant: Eines der zahlreichen Gourmet-Restaurants rund um Schloss Gruyères

Hotel: Abends, nach der Tour, gute Walliser Weine degustieren im Hotel Arkanum, Unterdorfstrasse 1, 3970 Salgesch, Tel. 027 451 21 00, www.hotelarkanum.ch

Die Spass-Tour ab Locarno

Strecke: Locarno – Mággia – Cevio – Peccia – Fusio – Lago Sambuco. Gleiche Strasse retour (doppelter Fahrgenuss)

Kilometer/Zeitaufwand: 2 x 45 km, 2 x 1 Std.

Varianten: Abstecher in die Seitentäler des Mággia-Tals, z.B. ins Centovalli, Onsernonetal oder ins wunderschöne Bosco-Gurin (bei Cevio abbiegen)

Landschaft: Fluss, Wald, zum Schluss Gebirge

Geeignet für: vielseitige Paare, die Abwechslung und Abgeschiedenheit lieben

Highlight: Wunderbarer Lichteinfall, schöner Hall: Botta-Kirche in Mogno

Hotel: Herzige Pension mit 4 Zimmern: Ristorante Medici, Peccia, Tel: 091 755 15 02

Resto: Grotto direkt am Fluss, einfach, authentisch und gemütlich: Grotto Pozzasc, Peccia, Tel. 091 755 16 04. 

Die krumme Tour ab Chur

Strecke: Chur – Lenzerheide – Bergün – Samedan – Berninapass – Livigno – Punt la Drossa – Ofenpass – Sta. Maria – Umbrailpass – Stilfserjoch (höchster, engstkurviger Strassenspass der Schweiz!) – Prad – Mals –Reschenpass – Scuol – Guarda – Flüelapass – Davos – Chur 

Kilometer/Zeitaufwand: 340 km, 5 – 8 Std.

Variante: Abkürzung ab Punt la Drossa via Zernez nach Susch – Davos – Chur

Landschaft: Wälder, Bergseen, sehr anspruchsvolles Hochgebirge

Geeignet für: Kurvenfreunde und Abenteurer, die auf Schräglagen stehen

Highlight: Nach der harten Tour die volle Entspannung im Bad Scuol, 7550 Schuls, Tel. 081 861 20 00

Restaurant: Geheimtipp für Grillspezialitäten (unbedingt reservieren!): Restaurant Crusch Alba, 7545 Guarda, Tel. 081 862 21 33

Hotel: schöne Terrasse, reichhaltiges Frühstück: Hotel Piz Linard, 7543 Lavin, Tel. 081 862 26 26, www.pizlinard.ch


 

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