Leseproben und Projektbeschriebe

Gärtnern über jedes Alter hinweg

Zusammen säen, jäten, schwatzen, lachen. Gemeinsam Erntefest feiern: Senioren und Kinder arbeiten in einem Generationengarten Hand in Hand. Im Primarschulhaus Gettnau LU funktionierts gut – trotz anfänglicher Skepsis.

Monika Koller hat die Hände voller erdiger Karotten. Umringt von vier Schulkindern trägt sie diese zum Brunnen auf dem Areal der Primarschule Gettnau LU. Die Kinder lachen, plappern unentwegt und schwenken das Gemüse im Wasser. «Jetzt waschen wir schön die Erde von den Rübeli weg», sagt Koller. Schon spritzen und rubbeln die Schülerinnen und Schüler um die Wette. «Gut machst du das», lobt Koller eines der Mädchen, «und jetzt bring die Rüebli in die Küche. ‘Bisch es Liäbs’!».

Das Mädchen strahlt und saust zur Schulhausküche. Heute ist Erntetag. Rund achtzig Schülerinnen und Schülern wuseln im Feuereifer herum. Bald schon werden sie ihr selbst angepflanztes Gemüse essen dürfen! In der Küche schnipseln andere Kinder emsig an Auberginen, Tomaten und an Weisskohl herum. Weitere wägen im Freien stolz ihre Kartoffelernte, nehmen auf hohen Leitern Stangenbohnen ab oder mimen Schwertkämpfe mit Schlangengurken. 

Alt und Jung vereint im Schulhausgarten

Ein Jahr zuvor hätte sich Koller solch heitere Szenen nicht vorstellen können. «Ich war skeptisch», erinnert sie sich. Als ihr Kollege Eugen Wechsler die damals 68-jährige Rentnerin anfragte, ob sie bei einem Generationengarten mitmachen wolle, winkte sie erst ab. Der ehemalige, ebenso pensionierte Schulleiter schlug ihr vor, sich zusammen mit weiteren Rentnern um Aufbau und Pflege eines Generationengartens zu kümmern – um einen Gemeinschaftsgarten also, in dem Schüler und Pensionierte Hand in Hand arbeiten. Ein Stückchen Erde, wo die Alten den Jungen ihr Wissen weitergeben und auch die Lehrpersonen das Erlebte in ihren Unterricht einbauen. Denn Naturthemen auf dem Schulareal greifbar umzusetzen, das lag Wechsler schon immer am Herzen. Er witterte mit dem Generationengarten neue Lernfelder für Kinder – und auch für pensionierte Menschen.  

Koller hingegen erwartete Ärger. Wie sollte sowas funktionieren? Warum sollte sie sich in ihrem Alter als mehrfache Grossmutter noch freiwillig eine neue Verantwortung aufhalsen? Sie hatte als ehemalige Schulhauswartin während 34 Jahren im Schulhaus Gettnau gewirkt. Dabei hatte sie auch die Pflege des Schülergartens verantwortet: «Ich musste damals oft reklamieren», erinnert sie sich, «der Garten wurde von den Schülern und Lehrpersonen vernachlässigt. Sie wollen nicht jäten, nicht giessen…!». Darum gab sie dem neuen Projekt erst keine Chance.  

Es braucht klare Strukturen und Verantwortlichkeiten

Nun, nach einer ersten Gartensaison zieht sie indes eine positive Bilanz: «Jetzt stimmts!» Ja, der Generationengarten sei «tiptop», stimmt ihre Kollegin, die vier Jahre jüngere Rentnerin Martha Kunz, bei. Denn schliesslich hatte Wechsler diese beiden Rentnerinnen doch noch für das Projekt gewinnen können. Er und andere Helfer hätten nämlich die nötigen Voraussetzungen geschaffen, damit es doch funktionieren kann: «Wir gaben dem Projekt Strukturen und verteilten die Verantwortlichkeiten auf mehrere Schultern», sagt Wechsler «dabei wurden wir von der Schweizerischen Gesundheitsstiftung RADIX unterstützt. Das war sehr wichtig».

Denn: «Gartenarbeit ist gesund für Körper und Psyche – bei Alt und Jung», sagt RADIX-Fachexperte Martin Lang, der zusammen mit Bioterra, dem Verein für Bio- und Naturgarten, das Konzept 2016 für die Generationengärten entwickelt hat. «Ich war dabei inspiriert von einem ‘Gartenkinderkurs’, den meine Tochter besucht hatte.» Jener Kurs wird regelmässig von Bioterra organisiert. Inzwischen verantwortet Martin Lang mit RADIX bereits an die zwanzig Generationengärten in der Schweiz. Er baut die Gärten jeweils zusammen mit einzelnen Verantwortlichen an den jeweiligen Standorten auf (Siehe Box).

Gefragt dank Gelassenheit und Lebenserfahrung

In Gettnau ist es so, dass Wechsler dank der Aufbauhilfe der Gesundheitsstiftung inzwischen selbständig im Hintergrund koordiniert und organisiert, während die zwei Rentnerinnen sich mit den Schülern um den Garten kümmern. Heute, am grossen Tag der Ernte, kommen sie kaum dazu, ausführlicher von ihren Erfahrungen zu berichten. Unentwegt wirbelt ein Fragensturm der Kinder um die beiden älteren Frauen: «Darf ich das essen? Wer hat die Hacke? Darf ich auch mal? Was ist das für ein Viech? Warum hat die Kartoffel Löcher? Wie hiesst diese Raupe…?» Gelassen geben die Rentnerinnen Auskunft und Anweisungen. Es tut ihnen gut, dass die Gartenerkenntnisse, die sie im Laufe ihres Lebens angereichert haben, hier begehrt sind.

Natürlich gab es auch besinnlichere Gartenstunden als diesen heutigen Ausnahmetag. «Wir haben das Jahr über oft in kleinen Gruppen von 6 – 8 Schülern an den Beeten gearbeitet», sagt Koller. «Da waren die Kinder zuweilen auch still in eine Tätigkeit versunken». Grundsätzlich, erklärt Ex-Schulleiter Wechsler, müsse man es als Generationengärtner aber schon ertragen können, dass «Kinder auch laut, ungestüm oder auch mal frech sein können». Aber gerade dann leistet die Gelassenheit des Alters gute Dienste.

Sichtlich zufrieden blickt er auf die grosse Schar an Gartenkindern und ruft in die Runde: «Das Essen ist parat!». Die Schüler sausen zum Buffet, stehen Schlange. Hinter ihnen reihen sich einige Lehrerinnen und die beiden Rentnerinnen ein. Hmmm! Es gibt Chabis-, Tomaten-, Gurken-, und Rüeblisalate, gebratene Auberginen und zum Dessert saftige Blaubeeren. Alles schmeckt aromatisch, knackig und «echt» – wie zu guten alten Zeiten.

 

Generationengarten: Gesundheit für Kinder und Rentner

 In einem Generationengarten geben Senioren ihre Gartenkenntnisse an Kinder weiter. Die gemeinsame Gartenarbeit sorgt für Bewegung im Freien, stärkt das Wohlbefinden und die sozialen Kontakte der älteren Menschen. Das Projekt Generationengarten wurde bislang von RADIX Schweizerische Gesundheitsstiftung geleitet und von Bioterra, dem Verein für Bio- und Naturgarten, mitgetragen. Neu ist es in der Verantwortung vom Verein Raumfang. Gefördert wird es auch durch die Beisheim Stiftung, Gesundheitsförderung Schweiz sowie weiteren Stiftungen und kantonalen Fachstellen.

 

Bilder: Monique Wittwer

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