Leseproben und Projektbeschriebe

Das Glück aus der Schote

Als bisher einziger Bauer in der Schweiz kultiviert Klaus Böhler Edamame-Bohnen. Doch der Biotüftler setzt nicht auf das Trendgemüse allein.

Eigentlich ist Klaus Böhler eingekesselt: Da, wo sein Grossvater in Seuzach ZH einst direkt das Land bewirtschaftete, drängen sich heute Wohn- und Geschäftshäuser aneinander. In deren Mitte behauptet sich einstweilen das Gehöft der Böhlers: Die Felder indes – neun Hektaren Land – liegen anderswo, ausserhalb des Wohnquartiers.

Die Enge seines Standortes kümmert den Biobauern und studierten Agraringenieuren Klaus Böhler indessen wenig. Wer mit Weitsicht denkt, lässt sich von Betonmauern nicht einschränken.

Böhler lenkt seinen glänzend-schwarzen Kombi zu seinen Feldern, erzählt, wie er 2008 den Hof seines Grossvaters übernahm und zunächst Bio-Schnittlauch für Coop anbaute. Nachdem die Böhlers 2010 aber Eltern wurden, war der arbeits- und zeitintensive Schnittlauchanbau mit dem neuen Familienleben nicht mehr vereinbar. Klaus Böhler setzte deshalb neu auf den Anbau von Kürbissen, Edamame und Urdinkelgras.

Dabei sei ihm wichtig, dass er den ganzen Kreislauf seiner Pflanzen durch seine eigenen Hände führen könne, das heisst, dass er seine Jungpflanzen mit selbst produzierten Samen ansetzen kann. Er wolle „von der Saatgutindustrie weitgehend frei sein“, sagt er. Ebenso strebt er danach, von Direktzahlungen möglichst unabhängig zu werden.

Bei der Produktion seiner Edamame-Bohnen habe er den geschlossenen Kreislauf allerdings noch nicht erreicht, sagt Böhler: Dafür muss er das Saatgut noch zukaufen, denn das Merkmal von Edamame sei eben gerade, dass die Bohnen im unreifen Zustand geerntet und gegessen werden. Edamame ist nämlich nichts anderes als eine unreife Soja-Bohne. In Japan reicht man sie traditionell zum Aperitif und bezeichnet sie auch gerne als „Glücksbohne“.

Hierzulande wird sie als neues Trendgemüse unter Asien-Liebhabern und Gesundheits-Freaks zelebriert: Blanchiert mit etwas Salz eignet sie sich ideal als Fingerfood. Sie hat einen leicht süsslichen, nussig-buttrigen Geschmack und perfekte Nährwerte: Arm an Kalorien, reich an Eiweiss, Vitamin A und E, Kalzium, Eisen und wertvollen Fettsäuren. Edamame-Bohnen helfen, den Blutzucker und Cholesterinspiegel zu senken und enthalten Isoflavone, die vor Osteoporose und bestimmten Krebsarten schützen sollen. Migros bietet Edamame seit diesem Frühjahr an; Coop führt es seit 2010 im edlen „Fine Food“-Sortiment: Die Edamame-Bohnen der Grossverteiler werden in Asien konventionell angebaut und gefroren importiert.

Derweil ist Böhler der erste und einzige Bauer in der Schweiz, der Edamame genussfertig produziert und in Bio-Demeter-Qualität via Direktverkauf anbietet. In den ersten drei Jahren Aufbauarbeit musste er Fehlschläge einstecken: Grosse Ernteverluste zum Beispiel oder Verarbeitungsengpässe, die nach dem Rückzieher einer Verarbeitungsfirma dazu führten, dass Böhler mit seiner Familie die Bohnen aus seiner erste Ernte kurzerhand selbst blanchierte und einfror. Heute lacht er darüber. Mit stetem learning by doing hat er inzwischen geeignete Anbau- und Ernte-Methoden entwickelt und erfreut sich reger Nachfrage. Fürs laufende Jahr erwartet er eine Verkaufsteigerung von hundert Prozent. Seine Bohnen kosten mindestens doppelt so viel wie die importierten Edamame-Bohnen, dennoch könnte er davon weit mehr verkaufen als er anzubieten hat.

Gleichwohl nimmt sich Böhler die Freiheit, seine Produktion klein zu halten: „Ich habe kein Interesse an einem grossen Wachstum, sondern am Entwickeln“, sagt er. Coop und Migros, mit denen er betreffend Edamame im Gespräch war, hätten zu grosse Mengen benötigt, sagt er. Dank Direktverkäufen fährt Böhler daher seine eigene Schiene, findet so auch Zeit, an neuen Projekten zu arbeiten und zwei Tage die Woche seine zwei- und vierjährigen Söhne zu betreuen.

Auf einem dunkelgrünen Feld zeigt uns Böhler seine Soja-Büsche. Im August wird er sie ernten. Sojabohnen werden hierzulande seit rund 25 Jahren angebaut, vorwiegend in der Westschweiz, weil sie warmes, trockenes Klima benötigen, um zur Reife zu gelangen. In der Deutschschweiz kam ausser Böhler bislang keiner auf die Idee, dem feuchtkalten Klima entsprechend aus der Not eine Tugend zu machen und die Bohnen „nur“ als Edamame zu nutzen, sie also frühzeitig zu ernten. Böhler bekam den Tipp von einer Studienkollegin und machte – ganz der Machertyp – sogleich erste Versuche mit verschiedenen Sojabohnen-Typen und Verarbeitungsmethoden. „Ideen zu haben, ist das eine“, sagt er, „sie umzusetzen das andere“.

Ebenso beherzt hatte er sich in ein Urdinkelgras-Abenteuer geschickt: Als ihn vor Jahren das trendige Zürcher Vegetarier-Restaurant „Tibits“ anfragte, ob er Urdinkelgras produzieren wolle, hatte er keine Ahnung von der Kultivierung des Süssgrases. Egal: Er sagte unverzüglich zu und machte sich an die Arbeit. Vor dem nächsten Feld, das hellgrün leuchtet wie Katzengras, bückt  sich Klaus Böhler, rupft einige Büschel aus, beisst im wahrsten Sinne des Wortes ins Gras. „Mhm! Sehr süss! Das ist Gerstengras – versuchen Sie auch mal!“ Auf den Reihen nebenan spriessen Hafer, Weizen und vier weitere Süssgräser; Böhler macht damit Versuche, um neue Vitamin- und Chlorophyllsäfte zu entwickeln – über Zürich schwappe gerade eine regelrechte Nachfragewelle nach solcherlei intensiv grünen und gesunden Lebensmitteln, sagt er. Grassäfte weisen einen ausserordentlich hohen Gehalt an Chlorophyl auf, das antibakteriell wirkt, die Widerstandskräfte des Körpers stärkt und Giftstoffe im Körper neutralisieren kann.

Da die Nachfrage nach Grassäften steigt, willBöhler herausfinden, welche Gräser zu welcher Jahreszeit wie gedeihen, wie sie vor Krankheiten geschützt werden können und welchen Geschmack sie entwickeln. Auch gilt es, Methoden zu finden, um die Gräser das ganze Jahr über zu kultivieren. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil hat Interesse an Böhlers Gras-Versuchen signalisiert. Und es ist gut möglich, dass Böhler beim diesjährigen Agropreis für innovative Landwirte, für den er sich beworben hat, noch von sich zu reden macht.

Mit der Kultivierung von Urdinkelgras hat Böhler mittlerweile einige Jahre Erfahrung. Es gelingt ihm inzwischen, das Gras ganzjährlich anzubauen und via Postversand täglich frisch zu vertreiben. Im „Tibits“, Haus Hiltl und im Restaurant „Gnuss“ in St. Gallen ist der „Greenpower-Drink“ aus Böhlers Urdinkelgras ein Hit. Während unserer Grasdegustation auf dem Feld klingelt sein Handy; er nimmt eine Bestellung entgegen: „Wie viel?“ fragt er. „Ok. Morgen? Kein Problem.“ Tonfall und Gestik gleichen jenen eines Geschäftsmannes.

Mit seinen Qualifikationen hätte er als Agraringenieur zweifellos weiter Karriere machen und besser verdienen können denn als Biobauer. Doch Böhler definiert „Karriere machen“ so: „Freiheit im täglichen Leben zu erlagen und dies an 365 Tagen“. Die Eigenständigkeit motiviert: Seit er den Bauernhof führe, wache er morgens um fünf Uhr auf, ohne Wecker.

So gesehen ist seine Welt weit und gross: Bohnen-Pionier Böhler weiss sich eigene, neue Horizonte zu öffnen. Unabhängig davon, wie sehr die Neubauten seinen Gehöft bedrängen.

Website von Klaus Böhler: www.edamame.ch

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