Leseproben und Projektbeschriebe

Restenfest mit René Schudel

Das wahre Können eines Kochs zeigt sich bei der Weiterentwicklung von Resten. Profi-Koch René Schudel erklärt, wie er ungewollte Überbleibsel vermeidet und gewollte Reste veredelt: Mit Respekt vor dem Produkt, mit Planung und Kreativität schafft er den «Wow-Effekt».

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Mit der Planung fängt alles an: Morgens um 9 Uhr sitzt das Küchen-Team von René Schudel, 37, in seinem stilvollen Lokal «benacus» in Interlaken zusammen und bespricht das Tagesangebot: Die vier Köchinnen und Köche wollen auch heute ihren Gästen eine «kreative, authentische, ehrliche» Küche bieten, so sagt René Schudel, ausgezeichnet mit dem «Best of Swiss Gastro Award» und bekannt durch seine Kochsendung «Flavorites» auf ProSieben Schweiz.

 
Auf dem Menü stehen «Frikadellen aus pochiertem Lachs und Dorsch an fruchtiger Curry Koriander Nage» sowie «Penne an Senfrahm Sauce mit Tagesgemüse und Parmesan». Jungkoch Alejandro Sobral bemerkt, er werde für die Frikadellen auch den Rauchlachs von gestern verwenden. Schudel nickt, führt die Sitzung konzentriert, mit knappen Worten.
 
Schudel mag als «Rock’n’Roller unter den TV-Köchen» mit spritzigen Sprüchen und unkonventionellem Lifestyle auffallen, folgt in seiner Arbeit aber klaren Prinzipien: «Ich mache null Kompromisse bei der Qualität», sagt er und betont, dass er stets einer Grundhaltung setzt, die von grossem Respekt vor dem Produkt und Tier geprägt sei.
 
Logisch, dass er allein wegen dieser Gesinnung darauf achtet, in seinem Betrieb möglichst keine noch geniessbaren Lebensmittel wegzuwerfen. Auch weiss er als erfahrener Gastronom, dass zu hoher Warenaufwand und die mittlerweile teuer gewordenen Entsorgungskosten von Esswaren finanziell untragbar wären.
In der zweiten Runde werden die Gerichte noch leckerer
Wie aber gehen Schudel und sein Team mit Resten um? Stösst sich ihre anspruchsvolle Klientel nicht daran, dass sie auch mal Überreste vorgesetzt bekommt? Nicht, wenn die Qualität stimmt – und wenn man auf Ehrlichkeit setzt! Diese sei dabei absolut wichtig, sagt Schudel, die Gäste würden das fühlen. Zudem plädiert er dafür, einen zeitgemässen Blick auf dieses Thema zu finden: Reste seien zu Unrecht mit einem negativen Image behaftet, findet er, «denn eigentlich haben sie einen schönen Charakter».
 
Auch weiss der Profi-Koch, dass es gewisse Produkte gibt, die sich als Reste potenzieren liessen – sie werden also bei der zweiten Verwendung noch leckerer: Das Rindsgehackte von gestern wird umso schmackhafter wenn es heute beim Apéro in einem Blätterteig als Empanada gereicht wird. Die Entenbrust vom Vorabend wird geräuchert, kalt aufgeschnitten und zum Blattsalat erneut aufgetischt: Ein «Renner!» freut sich Schudel. Aus trockenem Laugenbrot hingegen mache er leckere Knödel. Die Berner Zungenwurst, die warm mit Kartoffel-Lauch-Gemüse serviert wurde, soll in einer zweiten Runde als Wurstsalat die Gaumen erfreuen. Mit diesen Beispielen zeigt Schudel auf, dass es eigentlich gar nicht Reste sind, die er neu kombiniert, sondern Produkte, bei denen eine Kochvorstufe bereits am Vortag erledigt wurde.
 
Jede Hausfrau kennt das nur allzu gut aus ihrem Alltag: Ohne Gschwellti kann sie keine Berner Rösti braten, ohne Maisbrei gibt es keine mit Käse überbackenen Polentaschnitten. Die Verwertungsliste liesse sich vom Hörnli-Auflauf bis zur Flädli-Suppe beliebig lang weiterführen, interessant wird sie da, wo neue Kreationen gefragt sind.
Die Kreativität eines Koches misst sich an der Aufwertung der Reste
Da werden Hobby- wie auch Profi-Köche herausgefordert: Bei der Wiederverwertung würden sie zeigen, was sie an Kreativität wirklich zu bieten hätten, ist René Schudel überzeugt. Schliesslich habe man vom Originalprodukt ausgehend, tausend Möglichkeiten, um es zu verwenden. Wenn es aber schon gekocht, gedämpft oder gebraten sei, dann sei echtes Können gefragt: «Daraus noch etwas zu kreieren, dass einen ‚Wow-Effekt’ hervorruft, das ist doch unser Job!» hebt er voller Elan hervor.
 
Das wollen wir nun aber sehen…! Die Team-Sitzung ist nach einer Viertelstunde beendet; René Schudel führt uns in seine Küche, wo die Theorie in Praxis umgesetzt wird: Koch Alejandro Sobral lässt Fisch-Anschnitte, die sich optisch nicht fürs Sushi eignen, Rauchlachs vom Vortag, frischen Dorsch und knackiges Gemüse durch den Fleischwolf und formt die Masse zu Frikadellen. Nur beste Ware wird verwendet, dennoch werden zukünftige Fischfrikadellen, die vielleicht in einigen Wochen gefertigt werden, anders schmecken, je nachdem was Alejandro dann als ganz andere Kombination von Frischware und Fisch-«Resten» neu einsetzen wird.
 
Schudel begleitet uns zum Arbeitsplatz seiner Kollegin Patricia Zajmalowski, die Kohlrabi-Halbmonde ausschneidet und die Gemüseabschnitte sammelt: Sie werden nicht fortgeworfen, sondern für den Sud verwendet, in dem die Halbmonde dann geköchelt werden: «Durch die Verwertung der Abschnitte wird der Geschmack des Gemüses intensiver», erklärt Schudel, «überhaupt werfen wir Rüstabschnitte nie ungenutzt fort: Wir brauen daraus einen aromatischen ‚Gemüse-Tee’, den wir statt Wasser beim Kochen verwenden.
 
Schliesslich schnappt sich Schudel ein ganzes Hühnchen, zerteilt es flink in seine Bestandteile. Er will damit aufzeigen, dass man nicht nur Rüstabschnitte und Reste nutzen kann, sondern, dass es auch gilt, ungewollte Lebensmittelabfälle frühzeitig zu vermeiden. Das fängt schon beim Einkauf an: Wenn er statt einzelnen vorfabrizierten Teilen ganze Hühner kauft und selbst zerteilt, spart er nicht nur Warenkosten, er kann auch 95 Prozent des Tieres für verschiedene Gerichte nutzen und hat «die volle Kontrolle» über das ganze Produkt: Die Hühnerhaut dient als Bratfett, die Brust wird gegrillt oder pochiert mit Soja und Ingwer im asiatischen Stil gedämpft, die Flügel als knusprige Chicken Wings gereicht, die Ailerons als panierte Apéro-Häppchen, die Schenkel vielleicht traditionell geschmort, die Knochen und wenigen Überreste für einen schmackhaften Fonds verwendet. Schudel fügt freudig hinzu: «Und wenn von den geschmorten Schenkeln was übrig bleibt, gibt es nichts Besseres, als daraus einen Pouletsalat zu machen».
 
Bald schon duftet es verführerisch im Hintergrund, wo Alejandro seine Fischfrikadellen auf kunstvoll aufgetürmte Reiskuben setzt und mit einer Curry-Sauce beträufelt – ein wahres Fest für Augen und Gaumen. Reste werden davon garantiert keine übrig bleiben.
 
Box: Tipps von der Bauersfrau
Die Luzerner Bauersfrau, fünffache Mutter und Hauswirtschaftslehrerin Clara Helfenstein, 47, bereitet täglich mittags und oft auch abends ein warmes Essen zu. Sie bäckt Brot und Kuchen selbst. Ihre Gemüse und Früchte stammen mehrheitlich aus ihrem Garten. Milchprodukte, Kartoffeln und Schweine- und Rindfleisch nutzt sie ebenso vom eigenen Hof.
 
Im Winter kocht sie täglich Suppe, oft in doppelter Menge, damit sie diese vorrätig hat. So hält sie es auch mit den hausgemachten Knöpfli, die gekocht bereits lecker sind, aber in einer zweiten Runde, in Butter gebraten, noch umso besser schmecken.
 
Die altbekannten Restengerichte sind bei Helfensteins beliebt: Gratins etwa in denen etwa Käse- und Teigwarenreste verwertet werden. Oder eine Apfelrösti: «Dafür röste ich Brotreste in feine Scheiben mit recht viel Bratbutter an», erklärt Helfenstein. Hinzu kommen geschälte Äpfelscheiben sowie Weinbeeren, Zimt und Zucker. Fotzelschnitten bereitet sie indes ohne Zucker zu, nur mit Eier, etwas Salz und Wasser – so kann jedes Familienmitglied selbst entscheiden, ob es die Schnitte mit Zucker süsst oder lieber auf salzig setzt.
 
Einen super Tipp habe sie kürzlich vom Lehrling bekommen, sagt Helfenstein: «Als ich mal Sauerkraut übrig hatte, erzählte er, dass seine Mutter dieses in Schinken einrolle und mit Béchamel-Sauce überbacke. Das habe ich gleich ausprobiert. So guät!».
 
Nur zwei Produkte fallen ihr ein, deren Reste kaum verwertbar seien: Fondue und Pommes Frites. Daher berechne sie den Käse fürs Fondue knapp und gebe zum Schluss bei Bedarf einige Eier ins Caquelon. Für Reste, mit denen sie gar nichts anzufangen weiss, kommt die Hofkatze zum Einsatz: Sie schlabbert die letzten Happen im Nu weg.
 
Box: Aktionen gegen Lebensmittelverschwendung
 
Missstand Essensvernichtung: In der Schweiz landen pro Jahr 2,3 Millionen Tonnen Lebensmittel im Abfall – täglich 800 Gramm pro Kopf. Das hat die unabhängige Informations- und Dialogplattform Foodwaste.ch erhoben. Jeder kann mithelfen, die Verschwendung von Lebensmitteln zu verhindern. Die Website www.foodwaste.ch gibt dazu hilfreiche Tipps für den Alltag. Weitere empfehlenswerte Websites:
 
  • www.restegourmet.de: Geben Sie im Suchfeld ein, welche Reste Sie zu Hause haben: Im Nu präsentiert die Website zahlreiche Rezeptvorschläge
  • myfoodsharing.org: Sie haben zu viele Lebensmittel oder zu wenige? Auf dieser Plattform kann man Lebensmittel kostenlos anbieten oder abholen
  • www.zugutfuerdietonne.de: Bietet Wissenstest, Rezepte, Tipps und Hintergrundinformationen
  • www.tischlein.ch: Diese Organisation verteilt überschüssige, noch einwandfreie Lebensmittel von Grossverteilern an Bedürftige

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